Eine leere Kirche: Die Reste donauschwäbischer Kulturgeschichte im serbischen Apatin
Auch an Tag 2 in Serbien, nach knapp 180 gefahrenen Kilometern in der Vojvodina bin ich bisher noch nie auf einer Autobahn gefahren. Jeder Weg führt mich durch Kleinstädte und Dörfer, die sich meist sehr ähnlich sind. Besonders auffallend sind die prächtigen Baumalleen entlang der Hauptstraßen. Sie spenden wertvollen Schatten und werten das Landschaftsbild auf.
Die erste Station des heutigen Tages war Gakowa, zu Deutsch „Gaumarkt“. Ein Dorf, in dem heute etwas mehr als 2000 Menschen leben. Es gibt dort eigentlich nichts, bis auf eine Kirche, zwei Lokale, einen Tante-Emma-Laden, in dem man Softdrinks, Chips und Süßigkeiten kaufen kann und ein Parteibüro der Serbischen Fortschrittspartei.
Von 1944 bis 1948 war Gakowa jedoch ein Ort des Schreckens. Nachdem sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die Niederlage des Deutschen Reiches auch am Balkan bereits abzeichnete, kam es zum Rückzug der deutschen Truppen aus der Region. Da Teile der donauschwäbischen Bevölkerung mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten, wurden fast alle in der Vojvodina verbliebenen Donauschwaben in Lager interniert, hingerichtet oder vertrieben.
Gakowa war eines von zahlreichen Lagern, in denen Männer, Frauen, Kinder und Greise bis 1948 festgehalten wurden und unter grausamsten Bedingungen leben mussten. Viele von ihnen starben an Hunger und Krankheiten. Morgen wird mir eine Zeitzeugin mehr davon berichten. Sie war vier Jahre alt, als sie mit ihren Großeltern in Gakowa interniert wurde.
Weiter ging es dann nach Apatin, nahe der kroatischen Grenze. Dort wurde ich von Boris Masic in der Herz-Jesu-Kirche empfangen. Boris Masics Mutter ist Donauschwäbin, sein Vater ist Serbe. Er arbeitet als Deutschlehrer und engagiert sich für die Erhaltung der donauschwäbischen Kulturgeschichte in Apatin. Der Pfarrer Adam Berenc (1898-1968) predigte einst hier und gründete in den 1930er Jahren die Zeitschrift „Die Donau“.
Sie gilt als einziges donauschwäbisches Widerstandsblatt gegen den Nationalsozialismus. Nachdem die deutschen Truppen 1941 einmarschierten und Jugoslawien binnen weniger Tage bedingungslos kapitulierte, liefen große Teile der donauschwäbischen Bevölkerung zu den Nazis über. Es waren vor allem „angry young men“, wie der serbische Historiker Zoran Janjetovic in seinen Forschungen dazu feststellte. Später wurde die gesamte donauschwäbische Bevölkerung, das heißt auch Frauen, Kinder und Greise in der Vojvodina dafür beschuldigt und bestraft, wie es etwa in Gakowa geschah.
Die Herz-Jesu-Kirche, die erst Anfang der 1930er erbaut wurde, fand nach dem Zweiten Weltkrieg keine Verwendung mehr. Die katholischen Donauschwaben waren fast zur Gänze verschwunden – entweder gestorben oder nach Deutschland oder Österreich ausgewandert. Boris Masic hat aus der Kirche ein Museum für Adam Berenc gemacht. Hier bewahrt er alle Ausgaben der „Donau“ und andere Archivstücke.
Es hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen, dass Boris Masic kulturgeschichtliche Quellen der Donauschwaben sammelt und archiviert. So bekommt er permanent Zusendungen. Mittlerweile beherbergt er rund 26.000 Bücher, viele davon sind 200 bis 300 Jahre alt.
Weder der Staat noch die Kirche unterstützen Masics Tätigkeit. Für ihn ist es ein Vollzeit-Nebenjob. Dass Serbien eines Tages der EU beitritt, werde er nicht mehr miterleben, glaubt Masic. Dabei könnte gerade ein EU-Beitritt Serbiens die regionale Kulturarbeit stärken. Davon sei Serbien aber nach wie vor weit entfernt, so Masic und verweist dabei etwa auf die Beziehungen mit Russland. „Dieser Staat arbeitet immer gegen sich selbst.“, bilanziert er.
Die letzte Station des heutigen Tages war Novi Sad, die Hauptstadt der autonomen Provinz Vojvodina und zweitgrößte Stadt Serbiens. Hier leben in etwa so viele Einwohner:innen wie in Graz. Novi Sad liegt wie Wien an der Donau. Bis spät abends sitzen und flanieren die Menschen in den Cafés entlang des Stadtzentrums. Vor allem viele junge Familien schlendern in der Abendsonne durch die Gassen.
(Viktoria Tatschl)