30 Jahre nach dem Krieg: Wie gespalten ist die bosnische Gesellschaft?

Auf der politischen Fakultät der Universität Sarajevo habe ich mit Soziologin und Professorin Sarina Bakić gesprochen. Von ihr wollte ich wissen, ob und wie sehr eigentlich die Menschen in Bosnien und Herzegowina, 30 Jahre nach dem Krieg, immer noch gespalten sind.

Ich treffe die Professorin in ihrem Büro in der Fakultät. Sie hat heute nur eine halbe Stunde Zeit für mich, danach muss sie zu einer der vielen Prüfungen, die derzeit an der Universität stattfinden. Das macht aber nichts.

“Gesellschaft durchaus gespalten”

“Ich muss leider sagen, dass die bosnisch-herzegowinische Gesellschaft durchaus gespalten ist”, erzählt sie mir im Gespräch. Die Menschen seien besonders in Bezug auf ihre nationalen und religiösen Identitäten gespalten, aber auch wenn es um die sexuelle Orientierung, Genderpolitik oder Lebensweise geht.

“Dennoch war es immer so, sowohl nach dem Krieg als auch jetzt, dass die Menschen im Alltag zusammengearbeitet und zusammengelebt haben. Die Menschen leben zusammen und kooperieren miteinander”, erklärt Frau Bakić.

Spaltung: “Politiker retraumatisieren die Bevölkerung”

Dabei spiele die Politik in dieser Spaltung eine Schlüsselrolle. “Die bosnisch-herzegowinische Gesellschaft ist in einer absurden Situation, in der Politiker:innen hartnäckig versuchen, dieses Land zu teilen, und das schlägt sich natürlich in bestimmten Aspekten auch unter den Menschen nieder”, so Bakić.

Gerade die politischen Eliten im Land würden laut der Soziologin ihre Macht in den meisten Fällen gründen, indem sie “Angst vor den Anderen” schüren. Den politischen Verantwortlichen wirft sie vor, ständig mit der Angst der Bevölkerung zu spielen. “Die Kriegsvergangenheit kehrt immer wieder zurück, die Traumata kommen immer wieder hoch. Sie retraumatisieren im Grunde die Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina”, betont die Soziologin.

Neben der Politik gebe es laut ihr aber auch viele religiöse Organisationen die eine “Art Differenzierung” fördern, “die in dieser Gesellschaft absolut unnötig ist”, so Bakić.

Fakultät für Politikwissenschaften der Universität Sarajevo

Was muss sich ändern?

Man müsse in der Bildung ansetzen, wo laut Bakić die größte “Segregation” zu sehen ist. Aber auch viele Medien würden die Spaltung weiter fördern, kritisiert sie.

Auch müssen laut der Soziologin vor allem die politischen Verantwortlichen untereinander einen gemeinsamen Nenner finden und entscheiden: Wo wollen wir gemeinsam hin? Diese sollen auf einer Politik der Entwicklung des Landes arbeiten, statt die Bevölkerung immer wieder zu retraumatisieren.

Um die Situation im Land zu verbessern müsse man in Bosnien und Herzegowina “an der politischen Bildung der Bürger:innen arbeiten, an der medialen und kulturellen Bildung unserer Menschen, die wissen müssen, wie sie sich gegen politische Manipulationen, Lügen und verschiedene Arten politischer Spiele, die nicht zur Verbesserung ihrer Lebensqualität beitragen, verteidigen können“, betont Bakić.

“DNA Bosnien und Herzegowinas ist Interkulturalität”

Trotzdem gebe es zwischen den Menschen in Bosnien und Herzegowina ihrer Meinung nach keinen Hass.

Ich glaube sogar, dass es niemals Hass gegeben hat”, betont sie. Es gebe aber ein gewisses Misstrauen gegenüber den “Anderen” und Spannungen, die durch “künstlich induzierte Ängste” vor anderen nationalen und religiösen Identitäten hervorgerufen werden.

“Die jahrhundertealte DNA Bosnien und Herzegowinas ist Interkulturalität”, betont sie.

“Wir dürfen nicht auf den Schwindel reinfallen, dass wir uns hassen oder nicht respektieren. Das tun nur böswillige Menschen. In unserem System, in unserem kulturellen Code ist es genau diese Interkulturalität”, betont die Soziologin.

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