Košice: Zwischen schönen Fassaden und Roma-Slum
In Košice gibt es den zweitältesten Marathon der Welt, einen singenden Brunnen, den “größten Slum Europas” und eine merkwürdige Beziehung zu Youtube. Ein Lokalaugenschein in der zweitgrößten Stadt der Slowakei.
Es ist der 29. August, ein nationaler Feiertag in der Slowakei. Gefeiert wird der Slowakische Nationalaufstand gegen die Deutsche Wehrmacht.
Am Abend findet in der Innenstadt von Košice ein Lauf statt. Laufen spielt hier eine besondere Rolle, erzählt mir eine Gruppe von Jugendlichen, die als Freiwillige helfen.
Der Zoo ist auch eine Empfehlung - dort gibt es Pinguine, Fake-Dinos und davon auch Tattoos. Sie sind alle in Košice aufgewachsen und finden es etwas langweilig, aber eine “der schönsten Städte der Slowakei”.
Alles scheint wunderbar in Košice, die Stadt ist auf den ersten Blick wunderschön, und wer hier herreist, muss sich bemühen, den Blick hinter die Fassade zu schaffen.
Mit rund 230.000 Einwohner:innen ist Košice die zweitgrößte Stadt der Slowakei. Sie liegt ganz im Osten des Landes, die Architektur ist geprägt von tschechoslowakischem Jugendstil, Ungarn und den Habsburgern.
Rund 100 Kilometer weiter Osten beginnt die Ukraine, die Nato-Außengrenze und damit auch der Krieg. Davon merkt man in Košice nichts.
2013 war die Stadt Europäische Kulturhauptstadt - das merkt man. Wer Bratislava kennt, weiß, dass die Stadt mit dem Charme von St. Pölten vergleichbar ist - Košice ist ganz anders, hier wird man mehr an Prag oder Tschechien erinnert.
Es ist auch eine Universitätsstadt und war 2019 europäische Stadt der Freiwilligen.
Sehenswert sind auch der Kulturpark, die Tabačka Kulturfabrik und des jährlich stattfindende Filmfestival erzählt Patricia.
In der Stadt findet auch der zweitälteste Marathon der Welt Stadt. Nach dem Boston Marathon, versteht sich.
Am Brunnen sitzt auch Ján und beobachtet das Farbenspiel. Er hat an der technischen Universität studiert. Viele Leute kommen gerne hier her, erzählt er. “ich liebe die Atmosphäre” hier, sagt der 27-Jährige.
Abseits vom beeindruckenden Brunnen hat Košice noch eine ganz andere Seite. Während sich die Tourist:innen am Wasser erfreuen, haben Tausende Menschen im Süden der Stadt gar keines.
“Europas größtes Slum”
Im Osten der Slowakei gibt es viele Roma, wie in der ganzen Region der Transkapaten, die die östliche Slowakei, den Norden Ungarns und den Westen der Ukraine umfasst.
Auch Košice hat ein Roma-Ghetto, das erzählte auch Ján in unserem kurzen Interview. Luník IX heißt es - auf den Tourismus-Seiten der Stadt findet man dazu (natürlich) nichts. Es sei “das Schlimmste”, das man hier findet.
Nach der politischen Wende zogen alle Einwohner slowakischer Ethnizität weg, heißt es auf Wikipedia. Für 2.000 Einwohner war der Stadtteil konzipiert, heute sollen hier heute bis zu 10.000 Menschen in teils verfallenen Plattenbauten leben.
Wasser gibt es laut einer Dokumentation von Reporters TV nur zwischen 4 und 5 Uhr morgens, Müllabfuhr gibt es keine, und auch keine Heizung oder Storm. Vor Ort hilft nur der Salesianer Orden Don Bosco - aber selbst bei diesen Helfern sitzt der Rassismus gegen Roma tief, die Leute würden alles “zerstören” sagt ein Priester in der Dokumentation, ungeachtet der Ursachen für die Armut.
Im Kommunismus wurden die Roma in der Ostslowakei zur Sesshaftigkeit gezwungen - Luník IX war eine sogenannte “ABC”-Siedlung - “Armee, Sicherheit, Zigeuner”). Wer sich zu Luník IX informieren will, stößt auf Zitate wie “negatives Beispiel der Ghettoisierung der Roma in Ostmitteleuropa”.
Busfahrer bekommen hier eine Gefahrenzulage, Ein- und Ausstieg zu den Öffis ist nur durch die Vordertür möglich, eine zweite Haltestelle im Gebiet wird nur an Schultagen angefahren.
2019 sorgte ein Youtube für Aufregung in der Slowakei: Vlogger Benjamin Rich-Swift besuchte Luník IX - er beschrieb seine Erfahrungen als harmlos. Das dürfte eine Art “Challenge” ausgelöst haben - westliche Youtube nutzen den Slum gerne als Kulisse, um ihre Erfahrungen zur Schau zu stellen.
Rund 9 Prozent der in der Slowakei lebenden Bevölkerung identifizieren sich als Roma, berichtete der britische Guardian 2023, vor der letzten landesweiten Wahl in der Slowakei.
Wegen meiner Sprachbarriere kann ich nicht mit Leuten, die ich jetzt als Roma lesen würde, reden. Viele Roma leben in der Slowakei in Armut - weil ihnen der Zugang zu Bildung fehlt. Kritiker sehen hier Apartheid - systematische Separierung der Roma vom Rest der slowakischen Bevölkerung.
Und während sich in Košice viele am schönen Brunnen erfreuen, verkaufen die Roma-Kinder leuchtende Ballons und warten auf ihre Mütter, die dasselbe tun.
Wer mehr über die Roma-Community in der Slowakei erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch “Die Hundeesser von Svinia” vom österreichischen Autor Karl-Markus Gauß.
“657 Menschen in einem verdreckten Slum, 100 Prozent Arbeitslosigkeit, am Leben erhalten durch internationale Hilfsorganisationen, existent nur für jene, die davon wissen, unsichtbar für den Rest der Welt.
Der Slum bleibt unsichtbar, auch wenn man jeden Tag an ihm vorbei fährt. Der Slum ist von einer unsichtbaren Mauer umgeben, und diese Mauer trennt Welten voneinander. Hinter der Mauer leben andere Menschen, die von manchen, die sich sonst zivilisiert zu gebärden wissen, unverhohlen gar nicht für richtige Menschen gehalten werden.”
— “Ö1” über das Buch