Reisen auf falscher Spur: Zypriotische Enklaven, britische Dörfer und die „Geisterstadt“ Varosha
Rechts fahren, links sitzen: Selbst das Autofahren ist in Zypern ein kleines Abenteuer. Mindestens für einen Zentraleuropäer wie mich, der zuvor höchstens im britischen Taxi am Beifahrersitz gesessen ist. Nach passiven Beobachtungen während meiner ersten Tage, war ich nun endlich selbst an der Reihe und habe mich „auf falscher Spur“ auf den Weg Richtung Nordosten gemacht.
Mein erster Stopp führte mich ins Dorf Xylotymbou. Eine griechisch-zypriotische Enklave umrundet vom britischen Hoheitsgebiet. Seit 1960 hat das Vereinigte Königreich offiziell zwei Militärstützpunkte auf Zypern. Die SBA (Abkürzung für „Sovereign Base Areas“) dienen als strategischer Militär- und Truppenstützpunkt im Levantinischen Meer. Weitere Anrainerstaaten im östlichsten Teil des Mittelmeeres sind die Türkei, Syrien, der Libanon, Israel, Gaza bzw. Palästina oder auch Ägypten. Britische Soldat:innen nützen die Wärme Zyperns ebenso zur Erholung, bevor es wieder in den Einsatz geht. Überhaupt wohnen rund 4.000 britische und 7.000 zypriotische Zivilist:innen in den Militärbasen. Und das auf einer beträchtlichen Fläche von 254km², was stolze 2,7 Prozent der gesamten Inselfläche Zyperns (De jure 9.251km²) ausmacht.
Für die Menschen macht es keinen nennenswerten Unterschied, ob sie auf britischem oder griechisch-zypriotischem Boden wohnen oder arbeiten. Die Grenzen fallen kaum auf, Kooperation wird großgeschrieben. So auch in Achnas. Dort spielt mit Ethnikos Achnas ein Fußballklub in der höchsten zypriotischen Liga, der First Division. Für die Premier League in England wären sie wohl eher kein Kandidat, bestätigt mir auch ein Mitarbeiter des heimischen Fußballverbandes. Alexandro ist gerade in Gesprächen mit Kollegen der UEFA, denn am Folgetag findet ein offizielles Länderspiel auf britischem Boden statt. Die U17-Nationalmannschaft Zyperns duelliert sich mit den Alterskollegen aus der Slowakei (Ergebnis 2:3). Das sozusagen als weiterer Beweis dafür, dass sich das Vereinigte Königreich und Großbritannien keine unnötigen Steine in den Weg legen.
Ganz anders sieht es aus, wenn man sich der Grenze zur „Türkischen Republik Nordzypern“ nähert. Ich fahre auf einer britischen Straße, unmittelbar links davon Nordzypern, auf der rechten Seite die Republik Zypern. Karge Landschaften, Überwachungsposten, Stacheldrahtzäune - eine Idylle wird das so schnell keine mehr. An der Grenze wird gewissenhaft kontrolliert, bei der Rückfahrt werden meine Sachen auch auf möglichen illegalen Schmuggel überprüft, denn die Waren sind deutlich günstiger in Nordzypern.
Was mich in Famagusta erwartet ist zweifellos einzigartig. 2020 hat das türkische Militär Teile der sogenannten „Geisterstadt“ im Stadtteil Varosha (türkisch Maraš) für Besucher:innen geöffnet. Zu Fuß, mit Scooter oder Fahrrad lässt sich das Gelände erkunden. Freilich nur entlang der asphaltierten Straßen, alles andere wäre zu gefährlich. Häuser, Wohnungen, Parks, Hotelanlagen oder Geschäfte stehen seit 1974 leer. Alles ist verfallen, zerstört, zugewachsen – ein dystopischer Anblick. In den 1960er-Jahren gab es in Famagusta einen regelrechten Bauboom. Die Menschen im Norden wie im Süden Zyperns erzählen, dass Famagusta die florierendste und schönste Stadt der Insel war. Am vorläufigen Boom dieser Stadt kam es zum Krieg. Die Einheimischen rannten sprichwörtlich um ihr Leben, ließen alles zurück und kamen nie wieder.
Nicht überall dürfen Fotos gemacht werden. Eine kurze Unachtsamkeit und schon wies mich der türkische Soldat energisch zurecht, kontrollierte mein Smartphone und ließ mich wieder laufen. Nach wie vor besetzen türkisch-zyprische Militärs, aber auch türkische Militärs vom Festland, einen wesentlichen Teil Varoshas. Sie arbeiten und leben dort, ebenso ihre Familien oder einige Zivilist:innen. Besonders faszinierend und herzzerreißend zugleich: Die prachtvollen und endlosen Sandstrände in Varosha. Mich überkommt die Gänsehaut, wenn ich an meinen gestrigen Besuch an diesem Ort denke.
Abseits der „Geisterstadt“ gibt es in Famagusta reges Treiben sowie eine wunderschöne, venezianische Altstadt. Überschaubar, restauriert (u.a. mit EU-Förderungen) und sehr tourist:innenfreundlich präsentiert sich die Stadt. Der „große“ Fußballklub Anorthosis Famagusta ist vor 50 Jahren ebenfalls in den Süden übersiedelt. Im Norden spielen nur mehr Vereine wie Mağusa Türk Gücü auf sehr überschaubarem fußballerischem Niveau und fernab der großen Fußballwelt. Ein Ende dieser Isolation: Nicht in Sicht.