Spannungen auf Zypern: “Wir sind ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann.”
Im August 1996 stand der Vulkan kurz vor dem Ausbruch: Es kam zu schweren Zwischenfällen mit Todesopfern in der Pufferzone. Eine noch größere Eskalation konnte verhindert werden. Auch im Sommer 2023 wurden drei UN-Friedenswächter von der türkischen-zyprischen Seite attackiert, als sie sich in den Weg stellten. Es ging um den Bau einer Straße.
Entlang der Grünen Linie ist die unmittelbare Gefahr unweit größer. Auch mein Interviewpartner Christos betont, dass die Ungewissheit Auswirkungen habe: „Investments entlang der Pufferzone sind schwierig. Denn falls etwas passiert, sind die Regionen hinter der Grünen Linie besonders gefährdet.” Anders in Pyla, denn dort leben rund 1.500 Menschen in einem Ort mitten in der UN-Pufferzone. Die Einheimischen sind sowohl türkische wie auch griechische Zyprer:innen. Und es gibt zahlreiche Bewohner:innen, die im Auftrag der UN hier arbeiten bzw. britische Staatsbürger:innen, die neben der angrenzenden Militärbasis Dhekélia wohnen.
In Pyla gibt es neben mehreren Kirchen auch eine Moschee und: UN-Posten (im Hintergrund).
In Pyla gibt es keine Gesetzesausübung durch die Polizei, einzig die UN hat hier das sagen. Studierende einer britischen Universität im Ort berichten über Gerüchte rund um Schmuggel und Dealerei. Pyla ist in jedem Fall eine Hochburg des Glücksspiels – bei meinem Rundgang stehen zwei Handvoll Casinos rund vier Restaurants und zwei Lebensmittelgeschäften gegenüber .
Eines der zahlreichen Casinos in Pyla.
Wenn es um die Zugehörigkeit der Menschen auf Zypern geht, treffen viele Meinungen und Lebensrealitäten aufeinander. Munice ist türkische Zyprerin, lebt seit Jahrzehnten in Pyla und hat griechisch- wie türkisch-zyprische Freund:innen. Ein Problem sieht sie in den Menschen, die unter anderem wegen des Glücksspiels hierher kommen. Nachsatz: Egal woher.
Eine Bewohnerin Pylas: Die türkisch-zyprische Munice lebt seit Jahrzehnten mit ihrer Familie im Ort
Die Vereinigung Zyperns stand quasi von Beginn an auf wackeligen Beinen. Nicht zuletzt, weil die Garantiemacht Griechenland nach einem Putsch von 1967 bis 1974 als Militärdiktatur geführt wurde. Dies führte zu einem weiteren Putsch: Zyprische Nationalgarden, unterstützt von der griechischen Militärjunta, gaben den Anstoß zu weitreichenden Veränderungen. Denn als unmittelbare Gegenmaßnahme marschierte die zweite Garantiemacht – die türkische Armee – auf Zypern ein und besetzte den nördlichen Teil der Insel. Dieser Status ist unverändert. 2024 sind es 50 Jahre Inseltrennung.
Seit 2004 ist Zypern EU-Mitglied. Hat sich seither etwas getan in Bezug auf eine mögliche Wiedervereinigung? “Die Europäische Union war bisher keine Hilfe für eine Wiedervereinigung”, so Christos. Dies mag auch daran liegen, dass de jure bereits die gesamte Insel Teil der EU ist, es bleibt also kompliziert. Auch bei jüngeren Menschen zeichnet Christos kein besonders positives Bild über die EU: „Meine postgraduierten Studierenden (30-35-Jährige) sehen kaum Verbindungen zwischen Brüssel und Zypern. Auch möglichen Erweiterungen der EU stehen sie tendenziell skeptisch gegenüber.”
Die Lebensstandards sind hoch genug auf Zypern, auch die Wirtschaft laufe stabil, so Christos. Etwas anderer Meinung ist mein Tour-Guide Eleni: “Bis zur Finanzkrise haben wir sehr gut gelebt, seitdem ist es schwieriger geworden.”Eine stabile und friedliche Lösung mit einem unabhängigen Zypern wäre ihr größter Wunsch.
