Über Freundlichkeit, das organisierte Chaos und 80 Prozent Berge

Mehrere Erwachsene sprechen gleichzeitig, sie gestikulieren, reden regelrecht auf mich ein. Die Jugendlichen lachen, manche suchen meine Aufmerksamkeit. Die Fußballtrainerin will mich im Käfig sehen. Egal, was ich mache – ein Lehrer fotografiert mich stets. Als wäre die Unterhaltung mit drei Personen, die zwischen mazedonisch, englisch und auch wenigen Wörtern auf deutsch wechselt, nicht schon genug, hält mir Angela auch noch ihr Smartphone mit einem Videoanruf zu ihrem Kollegen Stanislav vor die Nase. Warum erzähle ich das alles?

Ganz einfach: Es ist ein Spiegelbild für die Freundlichkeit, Offenheit und auch Freude, die mir jene Nordmazedonierinnen und Nordmazedonier entgegengebracht haben, denen ich begegnet bin. Dass sich ein Journalist für ihr Leben und ihre Erfahrungen interessierst, ehrt scheinbar viele. Der Tourismus im Land zieht sowieso kräftig an, er wird auch als dementsprechend wichtig begriffen.

drei Frauen auf einem Sportplatz

Doch was sagen die Leute selbst über ihr Land, ihre junge Nation? Zoran liebt das “organisierte Chaos”, wie er es nennt. Der Verkehr, das Müllsammelsystem, die Gastronomie im Stadion: Es würde wohl deutlich besser gehen, aber es funktioniert. Und noch etwas fügt er lächelnd an: “Wir wollen in die EU, aber ich schätze auch die Vorzüge, nicht in der EU zu sein: Wir müssen nicht ständig effizient sein. In der Früh trinken wir erstmal einen Kaffee in der Stadt. Und wenn es 2 oder 3 werden und wir 45 Minuten zu spät kommen: Wen interessiert es?”, fragt er süffisant. Magdalena arbeitet als Psychologin in der Schule und auch sie betont, dass es oftmals keine strengen Restriktionen oder Vorgaben gibt. “Wir lieben die Musik und wir wollen Spaß haben, an Tag und Nacht. Um 22 Uhr muss bei uns keine Musik abgedreht werden,” spielt Magdalena auf die aus ihrer Sicht oft strengen westeuropäischen Standards an.

Sowohl Magdalena als auch ihr Direktor Zlatko heben die Gastfreundschaft der Menschen hervor. Nordmazedonierinnen und Nordmazedonier seien großzügige und kommunikative Menschen. Das ist ein Grund, warum der Tourismus im Wachsen ist. Die anderen? “Die Preise sind gut und wir haben eine wunderschöne Natur. 70 bis 80 Prozent unserer Landesfläche besteht aus Bergen”, sagt Zlatko. Tatsächlich überzeugt das Land mit immer mehr Wanderrouten, die durch zahlreiche Nationalparks führen oder Nordmazedonien mit Albanien oder dem Kosovo verbinden. Der höchste Gipfel ist der Golem Korab (2.764 m).

Ein junger Mann (Matthias Führer) steht auf einem Wanderweg. Rechts von ihm ein See und Berge, links eine Steinwand

“Wir sind ein multi-ethnisches Land”, sagt nicht nur Zlatko. Auch Irena vom nordmazedonischen Fußballverband, mein Gesprächspartner Blazhen Maleski oder viele weitere Personen streichen das hervor. Ethnische Fragen, Fragen zu Nationalität oder Grenzziehung können immer zu Verstimmungen oder schlimmstenfalls zu Protesten führen, sagt Irena. Einig sind sich Zoran, Blazhen und Irena, dass der Höhepunkt an ethnischen Konflikten in den 1990er-Jahren stattgefunden hat. Die Menschen wollen nicht mehr streiten, sondern gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten. Am liebsten als Teil der Europäischen Union. Bis dahin bleibt wohl noch genug Zeit zum Kaffeetrinken.

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“Ihre Talente setzen die Menschen im Ausland ein”