“Die Leute verlassen das Land wegen ökonomischen Gründen, nicht aufgrund ethnischer Konflikte.”

Die Bahnhofsuhr Skopjes zeigt 5.17 Uhr. Jeden Tag, zu jeder Zeit. Es war der 26. Juli 1963, als die Uhr stoppte und das Leben in Skopje fortan ein anderes sein sollte. Kein Krieg, keine Unruhen oder sonstige Angriffe sorgten für die größte Katastrophe in der jüngeren Geschichte Nordmazedoniens. Es war ein Erdbeben, das das Leben einer ganzen Stadt und Nation veränderte. Über 1.000 Menschen starben, 75 Prozent der Bevölkerung verloren ihr zu Hause.

Das ist eine von vielen historischen Anekdoten, die mir Zoran – mein gestriger Tourguide – in unserer dreistündigen Tour durch Skopje beigebracht hat. Nordmazedonien hat in seiner 32-jährigen Geschichte nach der Loslösung von Jugoslawien nicht nur eine Namensänderung hinter sich, sondern eine neue Nationalflagge. Wie 2019 waren es auch Anfang der 1990er-Jahre die Griechen, die gegen die Benützung der damaligen mazedonischen Flagge protestierten. Griechenland beanspruchte die alleinigen Rechte auf die Nutzung des “Sterns von Vergina”, weshalb die damalige Regierung einen Wettbewerb ausschrieb, der 1995 eine neue Nationalflagge hervorbrachte.

Klein und eingeschüchtert, aber zumeist friedlich

Die Geschichte Nordmazedoniens ist eine, in der sich dieses verhältnismäßig einwohnerarme europäische Land (etwa 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner) immer wieder den Wünschen und Angriffen anderer Staaten unterordnen musste. Froh ist Zoran darüber, dass sein Land das einzige ehemalige Land Jugoslawiens ist, das ohne Krieg selbstständig wurde. Proteste innerhalb des Landes seien ebenfalls so gut wie immer gewaltfrei.

“Gewalt und ethnische Konflikte sind nicht der Grund, warum vor allem junge Menschen zahlreich das Land verlassen”, sagt auch Irena Bakrevska Miloshevska, mit der ich mich lange unterhalten habe. “Es ist die ökonomische Situation, der zu geringe Lebensstandard, der schlechte Verdienst und die Aussichtslosigkeit”, die manche Menschen insbesondere Richtung EU zieht. Auch Zoran ist der Hoffnung, dass sein Land endlich Teil der Europäischen Union werden kann. Allzu optimistisch sei er jedoch nicht, zu oft wurden er und viele weitere Menschen im Land bereits enttäuscht.

Ein Kaffeetisch in einem Garten, auf dem Tisch stehen zwei Tassen und zwei Gläser und ein aufgeschlagenes Notizheft. Auf der anderen Seite des Tisches sitzt Irena  Bakrevska Miloshevska

Irena arbeitet für den nordmazedonischen Fußballverband “FFM”. In der internationalen Abteilung ist sie an Spieltagen unter anderem für den VIP-Bereich verantwortlich, arbeitet aber auch als “Social Responsibility Manager”. “Wir sind ein kleiner Verband, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben viele verschiedene Rollen”, sagt Irena. Sie ist stolz auf die vielen sozialen Projekte, die der Verband bereits umgesetzt hat oder an denen sie laufend arbeiten: Ein Erasmus-Projekt für Gendergleichheit oder die intensive Zusammenarbeit mit Organisationen für Menschen mit Behinderung.

Vor neun Jahren, als sie ihren Job begonnen habe, gab es ihre Stelle noch nicht. Die UEFA unterstütze und mache Druck, auch deshalb tut sich seither etwas. Warum gibt es keine nordmazedonischen Fußballklubs, die mir mit sozialen Projekten auffallen? “Ganz einfach”, sagt Irena: “Viele Vereine haben nicht einmal einen vernünftigen Rasen oder ein Stadion, in dem sie spielen können. Dann brauchen wir auch nicht über Menschen im Rollstuhl am Spielfeldrand sprechen.”

Im heutigen UEFA EM-Qualifikationsspiel Nordmazedonien vs. Italien erwartet sie eine “schöne Atmosphäre”. Die Leute wollen guten Fußball sehen, auch wenn die Chancen für das Heimteam schlecht stehen. Sie erwarten über 20.000 Zuseherinnen und Zuseher und Fans mazedonischer und albanischer Abstammung, die Seite an Seite ihre Fußballmannschaft anfeuern.

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