À veddaci, Korsika!

Kurzer Nachtrag nach einer Woche “Identitätssuche” auf Korsika, mit Geschichten und Begegnungen, die ich so natürlich nicht am Plan hatte, aber das ist ja das Schöne an Recherchereisen.

Der FLNC-Sympathisant Guy hat mir ein Sprichwort mitgegeben: “Wer zum ersten Mal nach Korsika kommt, den treibt die Neugier. Wer zum zweiten Mal nach Korsika kommt, kommt wegen der Liebe.” Die Korsen wissen um die Schönheit ihrer Insel und Kultur. Dieser Stolz schlägt sich rasch in Nationalismus und Autonomismus um, wenn man das Gefühl hat, bedroht und fremdbestimmt zu werden, wie es in der Geschichte Korsikas stets der Fall war. Aus diesem Erbe sprießt auch der heutige Widerstand gegen Paris.

Die jungen Korsen, so kam es mir vor, sind traditionsbewusster und fühlen sich mit ihrer Heimat mehr verbunden als andere junge Bevölkerungen in Europa. Der Wunsch nach mehr Autonomie ist also kein Generationen-Ding, sondern wird bleiben. Die Befürchtung des Historikers Didier Rey, dass bei einem Herauszögern oder Scheitern der Autonomie-Pläne die Gewalt wieder aufflammen könnte, erscheint berechtigt.

Ohne Worte.

Auch wenn man auf Korsika immer wieder Plaketten auf Gebäuden und Infrastruktur findet, die auf die Unterstützung der EU hinweisen, und Korsika für den Zeitraum 2021 bis 2027 rund 117 Millionen Euro aus mehreren Europäischen Fonds bekommt – in der Bevölkerung findet das kaum Widerhall. Wenn Europa und die EU für die Korsen eine Rolle spielen, dann ist es nicht Brüssel, sondern sind es vorwiegend europäische Nachbarländer und -regionen, mit denen Korsika historische Verbindungen hat oder denen es kulturell nahe steht. Italien, Sardinien, die Schweiz wurden mir genannt, aber auch auf die Katalonien-Frage in Spanien wird geblickt

Gleichzeitig, das wurde mir sowohl von Rey als auch vom französischen Statistikamt berichtet, sind viele korsische Nationalisten und Autonomisten Anhänger der EU, weil sie in ihr eine Möglichkeit sehen, den französischen Zentralismus zu schwächen. Zahlreiche europäische Institutionen sehen sich als Sprachrohr für die Besonderheiten europäischer Regionen. Im Europäischen Ausschuss der Regionen sitzen etwa 329 Vertreter lokaler und regionale Gebiete aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten, auch Korsika ist vertreten; der Ausschuss ist jedoch ein rein beratendes Gremium und hat keine Entscheidungskompetenzen.

Der “Chor von Sartène”.

Alte, korsische Gesänge sind heute ein Touristenhighlight, aber auch in der lokalen Bevölkerung beliebt.

Am Donnerstagabend hab ich ein Konzert einer sechsköpfigen, korsischen Gesangsgruppe in einer kleinen Kirche in Corte besucht. Auch sie gehören zum Kulturerbe Korsikas: diese alten, mehrstimmigen Gesänge von rein männlichen Gruppen, a capella und ohne instrumentaler Begleitung. Die Musik hat etwas Klagendes, Leidendes; der Hall in der Kirche hat dem Ganzen noch mehr Tragik verliehen. Im Publikum saßen hauptsächlich Touristen, Europäer und Festland-Franzosen. Ich lasse euch eine Aufnahme hier, damit ihr selbst hineinhören könnt.

“À veddaci”, das heißt übrigens “au revoir” auf Korsisch.

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Festland-Franzosen und Korsen an einem Tisch