Wie zwei Österreicher Korsikas Bartgeier retten sollen

In Corte wird man morgens schon mal von einem Rotmilan begrüßt, der über dem Bergstädtchen kreist. Das war nicht immer so, der Rotmilan gilt auch hier, in den rauen Bergen der Insel, als bedroht. Mittlerweile konnte der Bestand durch Schutzprogramme aber erfolgreich erhalten und erhöht werden. “Irgendwann wird uns das mit dem Bartgeier hoffentlich auch gelingen”, sagt Jean-François Seguin vom Parc naturel régional de la Corse.

Szenenwechsel nach meinem letzten Blog-Eintrag. Weg von der Küste, der korsischen Autonomie und der blutigen Vergangenheit Korsikas hinein ins Inselinnere, wo es heute um was völlig anderes geht: die EU, zwei Österreicher und den Bartgeierbestand auf der Insel.

“Das Projekt ist für mich ein Paradebeispiel”, schwärmt Jean-François Seguin. Der Franzose erwartet mich im Büro des Nationalparks in Corte, in einem dunkelgrünen T-Shirt mit dem Logo des EU-Programms “Life” am Ärmel. 

Jean-François Seguin, leidenschaftlicher Vogel-Liebhaber und Koordinator des Programms "Life Gyprescue".

Der Gypaète barbu, wie der Bartgeier auf Französisch heißt, ist ein aasfressender Raubvogel. Gerade deswegen gilt er als bedroht. “Es ist die Nahrungsknappheit, die ihm zu schaffen macht. Er verschluckt problemlos Knochen, die so groß sind wie ein Unterarm. Größere Knochen lässt er aus der Höhe auf Steine fallen, damit sie in kleine Teile zerschellen, die er dann fressen kann.” Seguin ist die Leidenschaft für seine Arbeit nicht abzusprechen. “2009 lebten noch zehn Bartgeier-Paare auf Korika, insgesamt zwischen 30 und 40 Individuen. Heute sind es vier Paare, und weniger als 20 Individuen.”

Die EU-Programm “Life” finanziert Projekte zu Klima- und Umweltschutz, darunter zahlreiche Artenschutzprojekte. Und seit mehreren Jahrzehnten auch den Erhalt des Bartgeiers auf Korsika. Das aktuelle Programm läuft knapp vier Jahre, noch bis Ende Juni 2025. Die EU übernimmt 61 Prozent der Projektkosten, 1,9 Millionen Euro; im Gegenzug muss penibel Bericht erstattet werden, über die Auswirkungen und den Erfolg des Programms auf den verschiedensten Ebenen. Der Rest wird finanziert vom Nationalpark sowie mehreren Partnern, darunter einem internationalen Geier-Schutz-Programm (VCF), dem Stromanbieter Korsikas (EFD), dem regionalen Jägerverband und der “Liga für den Schutz der Vögel”.

Tiere aus Österreich ausgewildert

Die Bartgeier werden auf der Insel genauestens überwachst, via GPS lassen sich Aufenthalt und Flugbahn orten. Im Rahmen des aktuellen Projekts wurden zweimal zwei neue Pärchen “eingekauft” und auf Korsika ausgewildert: zwei Vögel aus Finnland und Spanien – und zwei aus Österreich, aus der Greifvogelstation Haringsee in Niederösterreich.

Im Besucherzentrum des Nationalparks.

Nein, das ist natürlich kein echter Bartgeier. Aber eine lebensgroße Nachbildung.

Die beiden kamen erst im Juni dieses Jahres auf Korsika an, über den Landweg und dann mit der Fähre. Sie wurden auf die Namen “Piuma” und “Culomba”, Feder und Taube auf Korsisch, getauft. Die Namen durften die Kinder einer lokalen Schule auswählen. Die Vögel waren bei ihrer Ankunft auf Korsika gerade mal 90 Tage alt. “Sie haben erst ein Monat später hier bei uns das Fliegen gelernt. Das ist wichtig, denn könnten sie bereits fliegen, besteht die Gefahr, dass sie sich wieder auf den Weg zurück nach Österreich machen”, sagt Seguin. Wenn sich die Vögel zum ersten Mal in die Lüfte erheben, “das ist ein magischer Moment”, sagt ein lächelnder Seguin.

Bartgeier sind erst ab dem achten Lebensjahr reproduktionsfähig, und ziehen dann auch nur ein Junges pro Jahr auf. Der Erhalt ist ein langwieriges Projekt und mit Rückschlägen verbunden, etwa wenn ein Jungvogel nicht überlebt. Im Rahmen des Programms werden auch Mufflons in den Bergen Korsikas angesiedelt  – sowohl um deren Erhalt zu sichern als auch als natürliche Nahrungsquelle der Bartgeier. “Wenn der Bartgeier ausstirbt, wäre das ein enormer Verlust für die Biodiversität, für Korsika, für die Menschen, den Tourismus. Das weiß auch die EU.”

Seguin hat mir versprochen, Fotos der beiden österreichischen Bartgeier zu schicken. Die sollen hier natürlich nicht vorenthalten werden.

Seguin selbst ist übrigens, genauso wie die angesiedelten Bartgeier, kein gebürtiger Korse: Er stammt aus dem Norden Frankreichs. “Ich war noch klein, da haben wir Urlaub auf Korsika gemacht. Schon damals hab ich gewusst, ich will eines Tages hier im Naturpark arbeiten.” Im Team des Nationalparks ist er als Festland-Franzose eine absolute Ausnahme, nicht jedoch auf Korsika.

Das historische Bergstädtchen Corte, versteckt inmitten der massiven Berge Korsikas.

Dem französischen Statistikamt zufolge gibt es mehr Franzosen, die nach Korsika kommen, als Korsen, die auswandern. Korsika hat sogar eine der höchsten Wachstumsraten unter den Regionen Frankreichs, allerdings nur wegen der Zuwanderung und nicht wegen der Geburtenrate. Die letzten aktuellen Zahlen, die mir das französische Statistikamt zur Verfügung stellen konnte, sind aus dem Jahr 2016. Damals ließen sich 7.100 Menschen aus anderen französischen Regionen auf der Insel nieder, während 4.800 die Insel verließen. 2018 waren fast zehn Prozent der Inselbewohner Einwanderer, einen höheren Anteil am französischen Festland haben nur der Ballungsraum von Paris, die Île-de-France (19,8 Prozent), und die Mittelmeerregion Provence-Alpes-Côte d'Azur (10,9 Prozent). Die Mehrheit der Einwanderer auf Korsika (nicht nur unter den Bartgeiern) ist: Europäer.

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