Text: Ágnes Czingulszki, Fotos: Florian Scheible

Gestern war der Tag so lang, dass wir nicht mehr zum Blogschreiben gekommen sind. In der Statd wimmelte es vor Leuten, die Trachten trugen. 2.000 Tänzer und Tänzerinnen aus der ganzen Welt traten auf und führten traditionelle Siebenbürger Sächsische, aber zum Beispiel auch Sudetendeutsche Tänze auf. Hanna aus Österreich war selbst jahrelang in der Volkstanzgruppe ihres Heimatortes dabei. Ihr Freund aus Italien geht heute mit beim Aufmarsch – er meint: „Es ist so als ob ihr Geister auferstehen lassen würdet“. Zugehörig fühlt er sich nicht – er macht es für seine Freundin, die stolze auf ihre Siebenbürger Sächsische Herkunft ist. Hinter der riesigen Bühne herrscht reges Treiben, Plastikflaschen liegen herum und es ist sengend heiß. Es gibt Trachtenhosen aus Wolle, hineingestopft in kniehohe Stiefel. Man will sich nicht vorstellen, welche chemische Reaktionen unter ihnen bei der Hitze vor sich gehen.

Immer wieder Thema auf den Straßen ist die kanadische Gruppe, die Tänzer hat, die miteinander auftreten. Wohlgemerkt. Tänzer, Männer, die miteinander tanzen. Nach dem Auftritt treffen wir sie hinter der Bühne. Von ihren Gesichtern strömt der Schweiß von den Schnurbartsptizen tropfen die Perlen herunter. Railey ist dieser Mann, der die Frauenschritte übernimmt, da er in Ontario die neuen Tänzerinnen anleitet. Er ist mit der Leiterin der Landmannschaft Rebecca verheiratet und meint, das ist nunmal so. Es gibt nicht genug Frauen und damit alle mittanzen können, muss man halt flexibel sein. Lieber so, als das jemand nicht mitmachen kann. „We are open“. Das kann man im Publikum nicht von allen sagen. Die ungarische Familie, die in Transsilvanien lebt, tanzt selber Volkstänze. Wenn man ihre Meinung vom Fest fragt, sagen sie: „Man sieht schon, dass die deutschen Größenwahnsinnig sind, schauen sie nur diese Bühne an. Aber es ist auch schön, dass sie sich in ihrer Identität so entfalten können.“ Die zwei Männer überraschen ihn: „Das gäbe es bei uns nicht. Schließlich ist die Natur aus Mann und Frau gemacht. Sonst gäbe es ja auch keine Früchte“. Er spricht über die Verbindung zu Gott und die Natur.

Johanna, die wir immer wieder für unsere Story begleiten, hat kaum geschlafen. Sie hat heute Geburtrstag und bis in die Nacht gefeiert - stets ist sie am Organisieren und tun, Stühle schleppen, Anweisungen geben, Trachten zurecht zupfen. Sie ist über das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien nicht nur Host der Veranstaltung, sondern haben auch ihren eigenen Auftritt mit der Tanzgruppe. Die Aufregung im Backstag ist groß, alle sind ein bisschen nervös, schwitzen in der Hitze und fächern sich gegenseitig ins Gesicht. Dann setzen sie ihr schönstes Lächeln auf und gehen auf die Bühne, drehen sich im Kreis, stampfen und winken. Nach der Aufführung wird erst mal Wasser getrunken und dann kriegen alle wieder ihre Handys zurück und treffen Freund*inenn und Familie und umarmen sich. Wir treffen auch Hans und seine Familie in der Menge. Sie freuen sich auf das Combo-Konzert. Combo ist eine Heimatsvolksband und singt Schlagerklassiker im Sommerhemd. Alle singen mit, Schunkeln und tanzen – die Laune ist ausgezeichnet. Irgendwann ist es uns dann zu viel. Die Heimatliebe ist zu süß, zu groß, zu laut, zu sichtbar – wir gehen wieder zurück ins Hotel, vor dem wir die Jugendlichen bei der Afterparty in Neppendorf treffen wollen. Dort wurde der Gemeindesaal hergerichtet, es gibt hiesige Köstlichkeiten – Krautwickel, Fleisch, Polenta und Mici – zwischen Plastikpflanzen und der Musik von Saxon Trio tanzen Pärchen im grellen Neonlicht. Bei der Party der Jugendlichen ist nicht viel los – die meisten schauen Fußball. Johanna versucht Leute zu motivieren, damit die Party zum Erfolg wird. Wir drücken ihr die Daumen, fühlen aber, uns reicht es für heute.

Zwischen Mici – eine hiesige Leckerei (ähnlich zu Cevapcici) – Ciuc-Bier und dröhnende Volksmusik aus den Boxen (wir sind in den ersten Reihen) sagt ein anderer Mann: „Das ist ja alles ein Potemschkes Dorf“, er verkauft Fotos bei einem Stand, der sonst Fanartikel – Tassen, T-Shirts „I love Mici“ und das Wappen mit den Siebenbürger Türmen – rotblau – verkaufen. Er gehört nicht dazu, stellt nur gemeinsam aus. Er bietet „Rückkehrerberatung“ an. Es gäbe keine Heimat mehr. Weder in Deutschland, wo er 35 Jahre lang gelebt hat, noch hier, wo es die Gemeinschaft nicht mehr gibt. „Heimat bin ich, das ist mein Körper“, zeigt er auf sich. Er ist einer der Wenigen auf diesem Fest, die sich hier mit dem ganzen Treiben nicht wirklich verbunden fühlen. Was ihn trotzdem herbringt: „Der Austausch mit den Menschen tut gut.“ Weiter ist er aber eher pessimistisch: „Das ist alles nur Show von Auslandsdeutschen für Auslandsdeutsche. Es werden keine Werte mehr weitergelebt“. Die Bilder, die wir zwischen den Siebenbürger Sächsischen Souvenirs sehen, sind sehr beeindruckend. Eines davon hat es uns besonders angetan. Er sei der letzte Sachse seines Dorfes und wir sind entschlossen: Am nächsten Tag werden wir zu ihm fahren, um ihn zu finden und zu wissen, wie es ist, als letzter Sachse in einem Dorf zu leben, das sich nach 1989 so extrem verändert hat.

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Wie wirkt sich Albaniens möglicher EU-Beitritt auf das Thema Migration aus?

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Tag 3: Die Ankunft der Deutschen