Kontrastprogramm: den letzten Sachsen treffen
Text: Ágnes Czingulszki, Fotos: Florian Scheible
Wenn wir dachten, Freitag wären die Straßen voller Trachten, wurden wir am Samstag des besseren belehrt: Es geht noch doller. Diesmal sind wir nicht nur Hanna in Tracht über den Weg gelaufen, sondern auch Alessio, der sich in der Siebenbürgisch Sächsischen Trachtlern ebenfall anschloss. An der Lügenbrücke begann der Trachtenumzug und schlängelte sich dann eine Stunde durch die Stadt, so, dass auch die große Bühne immer passiert wurde. Schon im Vorfeld merkten wir, dass heute jemand wichtiger in der Stadt ist. Unter die Tourist*innen mischte sich jede Menge Sicherheitspersonal, ein Stecker im Ohr, Schäferhund an der Leine. Von der Bühne winkte Präsident Klaus Johannis höchstpersönlich dem Umzug zu – außer ihn natürlich noch jede Menge andere bedeutende politische Persönlichkeiten. Als Schirmherr der Veranstaltung begrüßte Johannis – selbst Siebenbürger Sachse, einstiger Physiklehrer und ehemaliger Bürgermeister Hermannstadts – die Festgäste erst auf Rumänisch, dann auf Deutsch. In seiner Rede bezog er sich auf das große Erbe der Siebenbürger Sachsen in Rumänien: „Die Achtung der Werte gehören zum Wesen der Siebenbürger Sachsen – sie vergessen ihre Heimat nie und werden für ihre Identität in der ganzen Welt geachtet.“ Er wünscht sich zum Schluss eine Gesellschaft der Gerechtigkeit aufzubauen. Auch die Bürgermeisterin Astrid Cora Fodor – ebenfalls Siebenbürger Sächsischer Herkunft – hielt eine Rede, in der sie einerseits die anwesenden Nachfahren von Siebenbürger Sachsen zurücklockte – „es hat sich viel verändert, aber die Flüsse und Berge und Kirchen sind immer noch hier – es gibt viele Möglichkeiten“, andererseits dazu aufrief, sich in der Ferne gegenseitig zu stützen und helfen.
Auch der berühmte deutsche Musiker Peter Maffay saß mit auf der Bühne, am Sonntagabend wird er ein Konzert geben – so gut wie alle Besucher*innen sind in großer Aufruhr und können seinen Auftritt kaum erwarten. Er ist selbst teils Siebenbürger Sachse.
Zu einem „echten“ Siebenbürger Sachsen – einen, der auch nach dem großen Exodus im Jahr 1989 nicht nach Deutschland ging – besuchten wir dann am Nachmittag. Michael lebt in einem 600-Seelen Ort in der Nähe von Hermannstadt. Dort waren die Siebenbürger Sachsen die Mehrheitsbevölkerung vor 1989. Heute gibt es nur mehr sechs Personen. Die restlichen sind Rumän*innen und Roma. Als wir in dem Dorf ankommen, wissen wir nicht, wo Michael lebt, aber die erste und einzige Person, der wir uaf der Straße begegnen, kann uns sofort einweisen. Dort, wo der zweigeteilte Traktor steht. Wir wecken ihn beim Mittagsschlaf, aber er ist sofort bereit, Auskunft zu geben. Während wir warten, sehen wir uns im Hof um. Kleine Enten, Gänse, Katzen, Hühner und ein Gemüsegarten mit Blumen und heranreifenden Tomaten. Wie man sich einen Bauernhof von früher vorstellt. Als wir Cola bekommen und in der Küche zu reden beginnen, erzählt uns der 73-jährige Michael mit den hellen Augen und dem sonnengegerbten Gesicht Geschichten aus dem Leben. Von Onkeln und Mütter und Söhne und Deportation und Auswanderung. Wie sich das Dorf plötzlich leerte, als in den 1990ern die Menschen Pässe bekamen. Er schnupperte bei seinem Bruder in Deutschland und sagte: Das ist nichts für mich, er fühlte sich nicht willkommen und akzeptiert und kehrte zurück zu seinem Dorf, übernahm die Tiere – 2 Büffel und 1 Pferd – von seinem Vater. Spät, aber doch fand er eine Frau, die zu ihm aus der Moldau zog und er bekam zwei Söhne mit ihr. Söhne sind ein großer Schatz, das merkt man Michael beim Reden an. Immer wieder bekommt er Tränen in den Augen, wenn er von Familie und Zusammenhalt redet. Er spricht ein sehr gepflegtes und höfliches Deutsch. Wörter und Redewendungen wie „beseelt“ oder „sich Rechenschaft ablegen“ sind bei ihm in ständigem Gebrauch. Irgendwann wird auch klar, dass Religion – der evangelische Glaube – einen besonderen Stellenwert hat. Als Kirchenkurator hat er den Schlüssel zum Gotteshaus und wir schauen uns die Kirchenburg an – die früher mal mit zwei Ringen vor den Einfällen aus dem Osten schützte – und er führt uns durch die schön erhaltene, aber dem Zerfall trotzdem ausgesetzten Kirche. Die Fahne ist zwar von Motten zerfressen, aber noch hängt sie. Immer wieder verliert er sich in Handlugnsstrenge, in der wir nicht mehr wissen, in welchem Jahrhundert wir uns befinden. Eine Legende folgt der nächsten. Trotzdem sind wir sehr erstaunt darüber, was er noch alles weiß und vor allem, wie er die steilen Stufen auf den Dachboden geht ohne sich festzuhalten. Auf einer der vollgekritzelten Bänke entdecken wir Hakenkreuze und fragen ihn, wie es damals war als die Nazis kamen. Wer sie da hingemalt hat. Es gab auch hier Leute, die zur SS eingerückt sind – die durften dann nach dem Krieg nicht mehr heimkehren. „Der Hitlerkrieg hat die Welt auf den Kopf gestellt. Es wäre besser gewesen, hätte seine Mutter ihn abgetrieben als er noch so klein war wie eine Bohne“, zeigt er seinen Daumen. Die Hakenkreuze weggemacht hat trotzdem niemand.
Wir reden dann noch im Kirchengarten, essen braune Birnen, die von der Sonne und Wärme karamellisiert sind und fast weiße Äpfel, die nach Sommer riechen. In der Abendsonne verabschieden wir uns auf der breiten Straße. Er fährt mit der Kutsche zu seinen Hirten auf die Weide, die auf die Schafe aufpassen, damit sie nicht vom Bären oder den Wölfen gerissen werden. Bringt ihnen Essen und Zigaretten. Wir können leider nicht mitgehen – „das dauert Lange – ich bin mindestens vier Stunden unterwegs.“ Das Programm bei ihm – in der ruhigen, abgelegenen, nur durch holprige Feldwege erreichbaren Dorf, ist ein Kontrast zu dem Sachsentreffen in Hermannstadt. Michaels Worte: So was gab es bei uns nie – es haben sich die Heimatortsgruppen gesehen, aber nie so groß, alle zusammen. Das ist ja nur, um Geld zu machen. Gut für die Hotels, gut für die Wirtshäuser“, reibt er seine Finger aneinander.
Unser Blick auf die Minderheiten in Rumänien, wurde zu einer Rundschau in das kompliziete Erbe der Siebenbürger Sächsischen Bevölkerung – wir können kaum erwarten, euch unsere Erkenntnisse in eine Reportage im Magazin „Datum – Seiten der Zeit“ zu präsentieren!