Tag 3: Die Ankunft der Deutschen
Text: Ágnes Czingulszki, Fotos: Florian Scheible
In unserem 13-stöckigen Hotel sind heute die Deutschen angekommen. Es gab nicht nur rumänische Leckereien wie Vignette und Zakuszka – und jede Menge Würste – am Frühstücksbüffet, sondern auch gastronomische Sternstunden der deutschen Küche, wie Rollmöpse. Nach kurzer Zeit sind wir mit einer Familie ins Reden gekommen. Die Mutter, um die 50, wurde in Großscheun/Sura Mare – ein Ort nördlich von Sibiu – geboren, von dem ihre Eltern in den 80ern mit ihr als 4-jähriges Mädchen in die Nähe vom Frankfurt ausgewandert sind. Ihre Kinder sind in Deutschland geboren und waren mit ihr und ihrem Mann vor 7 Jahren beim Großen Sachshentreffen in Sibiu/Hermannstadt. Viele begrüßen sich, umarmen sich während wir sprechen – es hat den Anschein als würden alle zu einem unglaublich großen Klassentreffen kommen.
Nach dem Frühstück fahren wir nach Großpold/Apoldu de Sus (1.290 Einwohner*innen) um ins Heimatmuseum zu gehen. Leider hatte das Museum nicht geöffnet – wir versuchten die ausgehängten Telefonnummern durchzurufen. Die alte Dame, die sich auf deutsch gemeldet hat, konnte auf Grund der Hitze nicht kommen. Daher versuchten wir den Pfarrer zu finden, der uns durchs Museum hätte führen können. In der Straße begegneten wir dann Kinder und eins führte zum anderen. Hans ist ihr Vater. Er hielt neben uns im Jeep mit Münchner Kennzeichen und wir kamen ins Gespräch.
Er ist in Großpold geboren, ist Landler – hat also Österreichische Vorfahren – und ist einer der typischen „Sommerlandler“, die für die Sommerferien in die alte Heimat zurückkehren. Er richtet seither Stück für Stück im Sommer sein Elternhaus her. Seine drei Kinder wollen jedes Jahr kommen, ein anderer Urlaub kommt nicht in Frage. Die Kinder zwischen 10 und 18 – Cousins und Cousinen, die sich von ganz Deutschland in Rumänien zusammenfinden – genießen das Leben abseits von der Stadt, von engen Wohnungen. Hier gibt es Hügellandschaften, wenig Kontrolle, viel Freiraum und vielleicht die Möglichkeit auch mal Bären zu sehen. Im Schlepptau sind auch die Kumpels. Hans führt uns dann durchs ganze Dorf. Wir sehen den alten deutschen Kindergarten, der nun als Jugendzentrum – zumindest in der Zeit der Sommerlandler-Wochen – funktioniert. Kurz wollte man daraus ein Altersheim machen, aber die Stufen und die Räumlichkeiten sind alles andere als barrierefrei. Jetzt gibt es einen großen Raum zum Abhängen, Kartenspielen und über die Stränge schlagen. Manchmal gibt es sogar Livekonzerte mit Rockbands. Und alle paar Jahre einen großen Ball – so wie man das auch in Deutschlad macht, mit Schlagervolksmusik und viel Enthusiasmus. Beim Letzten im Jahr 2022 waren nach Erzählungen von Hans 800 Menschen da.
Den ganzen Nachmittag verbringen wir mit ihm und seiner Familie – wir dürfen in die Zimmer schauen, die Trachten fotografieren und auch die Besenfrau kommt vorbei, von der Hans für 50 Lei – also zirka zehn Euro – Besen kauft. Im Stall steht ein Quad mit Saisonkennzeichen von April bis Oktober und ein Jeep. Im Hof hängen Weinreben, aus alten Autoreifen wächst Minze und zwischen dem Stein wuchert Thymian hervor. Hinter der Scheune Zwetschken und alte Äpfel. Idyllisch. Die Realität fängt aber schon beim Nebenhof an, wo Kälber eingesperrt im Dreck stehen und der Hund den ganzen Tag und die ganze Nacht an einer Kette hängt. Parallelwelten nebeneinander.
Hans kann aber auch den Schlüssel von der einen Nachbarin besorgen und deshalb kommen wir dann schlussendlich doch noch ins Heimatmuseum – eine beeindruckende Sammlung an traditionellen Alltagsgegenständen und Kleidungsstücken der hiesigen deutschsprachigen Bevökerung. Eingerichtet in einer alten Scheune, versehen mit Fotos von Bewohner*innen, die tatsächlich mal hier gelebt und gearbeitet haben. Bei unserem Besuch ist soeben ein Storch auf dem Dach herumspaziert – gegenüber das Storchnest auf einem Strommast. Zum Schluss machen wir noch einen Abstecher zu den Weinhügeln, fahren durch verwilderte Apfelplantagen, sehen uns die aus dem Boden schießenden neuen Ferienhäuser an, bevor wir dann wieder zurück nach Sibiu fahren. Zwischendurch halten wird aber noch im Viertel, in dem die Roma leben. Wir treffen ein 15-jähriges Mädchen, die seit drei Jahren in Landsberg lebt und deutsch spricht. Sie sitzt gemeinsam mit der Familie vor dem Haus und erzählt über ihre Wünsche. Auf alle Fälle will sie mal im Büro arbeiten. Sie ist auch nur in den Sommerferien hier. Ihre Cousine fährt zur Saisonarbeit – Spargel pflücken und Erdbeeren ernten – in die Gegend von Hamburg und lebt danach hier. Ein Foto ist leider nicht möglich. Wenn wir über systematische Probleme sprechen, bekommen wir nichtssagende antworten. Hier ist es so, wie es immer schon war. Wir müssen los, denn gleich steht ein Gespräch mit dem Ungarischen Brückenverein bevor.
Die zwei Damen, Enikö und Edit, die Àgnes trifft, können viel erzählen – geschichtliches über die Stadt und auch ihre Meinung über die Politik in Rumänien. Unterwegs treffen sie noch die Redakteurin der Hermannstädter Zeitung, die sie durch die Redaktionsräumlichkeiten lotst und Zeitungen von 1866 zeigt. Die ungarische Minderheit ist zwar doppelt so groß wie die Siebenbürger Sächsische, aber viel unbedeutender. Sibiu ist eine Stadt mit sehr viel deutschem Einfluss. Sie gestehen ein „das tut der Stadt gut“ – ein fahler Beigeschmack lässt sich bei dem Satz aber nicht vermeiden. Die ungarische Community tut sich viel schwerer, um die Community zu erhalten. Es gehört nicht zum guten Ton, ungarische Tänze zu lernen und die ungarische Sprache zu lernen. Es gibt kaum Vorteile. Während Ágnes das Gespräch führt, geht Flo auf den Kirchturm, um sich einen Überblick von oben zu verschaffen. Danach hat er noch einmal die Jugendlichen im Lutscherhaus gesprochen und fotografiert. Die Kontakte, die wir geknüpft haben, wachsen uns mittlerweile über den Kopf, wir wissen gar nicht mehr, wo wir noch in der kurzen Zeit hinkommen können und mit den Leuten reden – auch beim Abendessen lernen wir einen älteren Journalisten kennen, der uns noch mehr über Minderheiten in Rumänien erzählt und Schriftstellern, die wir unbedingt besuchen sollen. Wir sitzen an einem Tisch in der Altstadt, Straßenmusiker versuchen ihr Glück, Polizisten jagen ihnen hinterher und währenddessen tauchen Leute in Trachten auf und mit den Siebenbürger Wappen – auf T-Shirts, auf Tattoos, auf Halsketten. Die Zusammengehörigkeit – auch, wenn sie nur in der Generation der Eltern gelebt wurde – wird hier demonstrativ zur Schau gestellt.