Efterskole: Eine besondere Schule fürs Leben

Verena Schinnerl, Dänemark, 20. September

Tag 4:

„Nachschule“ – genau das bedeutet es, wenn man das dänische Wort „Efterskole“ ins Deutsche übersetzt. Es handelt sich dabei um ein weltweit einzigartiges Modell, das in Dänemark eine lange Tradition hat, denn die erste Schule dieser Art gab es schon vor über 170 Jahren. Die Idee: Schüler:innen sollen sich ein Jahr lang anstatt auf ihre Noten auf die eigenen Interessen und die persönliche Weiterentwicklung konzentrieren.

Aber von Anfang an: Im Zuge meiner Recherchen hat sich herauskristallisiert, wie wichtig das dänische Bildungssystem als Säule des Wohlfahrtsstaates ist. Das gesamte Schulsystem zu beleuchten, würde den Rahmen meines Projektes sprengen, aber eine besondere Schulform hat mich nicht mehr losgelassen: die Efterskole. Nach der Grundschulausbildung haben die dänischen Schüler:innen nämlich die Möglichkeit, ein Schuljahr an einer solchen Schule zu verbringen – meistens ist das die 10. Schulstufe (wenn die Schüler:innen 16 oder 17 Jahre alt sind), teilweise auch die 8. und/oder 9. Schulstufe. Eine Efterskole zu besuchen, ist optional – die Nachfrage ist in den letzten 25 Jahren aber erheblich gestiegen. Aktuell gibt es ungefähr 240 Efterskoler mit knapp über 30.000 Schüler:innen in Dänemark, die meisten davon sind in ländlichen Gebieten oder nahe einer Provinzstadt verortet. Die Größe der Schulen variiert dabei zwischen 35 und 600 Schüler:innen.

Wie genau kann man sich nun aber eine Efterskole vorstellen und was hat diese mit der Lebenszufriedenheit der Dän:innen zu tun? Um das herauszufinden, treffe ich heute Mikkel Christoffersen, Direktor der Brøndby Idrætsefterskole (eine Efterskole mit Sport-Schwerpunkt). Brøndby ist eine Vorstadtgemeinde von Kopenhagen, die dortige Efterskole besteht seit 15 Jahren und zählt somit zu den neueren Schulen. Wie immer bei dieser Schulform leben auch die Schüler:innen in Brøndby in einem Internat zusammen und können sich je nach Interesse spezialisieren. In der Brøndby Idrætsefterskole gibt es dabei vier Zweige für aktuell 135 Schüler:innen: Fitness, Tanzen und Fußball für Mädchen beziehungsweise Buben. Die Noten treten in den Hintergrund, denn der Fokus liegt auf Sport sowie typisch für eine Efterskole auf Gemeinschaft und sozialen Fähigkeiten. So sollen die persönlichen Weiterentwicklungen gefördert und letztendlich Respekt, Neugier und ein gesunder Lebensstil vermittelt werden. Neben den sportbezogenen Fächern gibt es die Pflichtfächer Dänisch, Mathe und Englisch.

Auch wenn der Besuch einer Efterskole nicht verpflichtend ist, sollen alle Schüler:innen die Möglichkeit bekommen, eine solche zu besuchen – wenn sie das möchten. Es gibt deshalb eine staatliche Beihilfe, die auf Basis des Einkommens der Eltern berechnet wird. Die Kosten variieren zwar von Schule zu Schule, sind aber generell nicht ohne. An der Brøndby Idrætsefterskole beträgt der Wochenpreis für das aktuelle Schuljahr beispielsweise 2600DKK – das sind umgerechnet rund 350€. Inklusive allem macht das pro Jahr und Schüler:in über 15.000€, wobei die Eltern eben mit staatlicher Unterstützung rechnen können.

Bei der Efterskole handelt es sich um ein Leben zwischen Freiheit (meistens sind die Schüler:innen das erste Mal länger von Zuhause weg) und Verantwortung (die Schüler:innen müssen eigenständig sein und etwa auch Küchendienste übernehmen). Es ist eine Art Auszeit, bevor die normale Schullaufbahn weiter absolviert wird. Ich spreche auch mit zwei Schülern, Alexander und Gustav, die nicht gerne zur Schule gegangen sind und sich von der Efterskole nun neue Erfahrungen erhoffen. Sie nennen dabei den Ausbau ihrer sozialen Fähigkeiten, die persönliche Weiterentwicklung und das Ablegen der eigenen Zurückhaltung als wichtige Faktoren. Beide wollten die Tradition ihrer Familien fortführen, nachdem die Efterskole für ihre Eltern eine besonders prägende Zeit war. Alexander ist für dieses Schuljahr deshalb sogar von Schweden nach Dänemark gezogen.

Zurück in Kopenhagen mache ich mich mit einem Mikro bewaffnet und immer dem Wasser entlang auf den Weg, um im Zuge einer Straßenumfrage zu erfahren, wie glücklich sich die Dän:innen fühlen, was in Dänemark gut gelingt und in welchen Bereichen es vielleicht noch Verbesserungsbedarf gibt.

Die Antworten sind eindeutig: Die Befragten fühlen sich in Dänemark allesamt zufrieden – vor allem aufgrund der Sicherheit. Sie nennen den hohen Lebensstandard, die gute Lebensqualität und das starke Wohlfahrtsystem (vor allem im Gesundheits- und Bildungsbereich) als Gründe für ein sorgenfreies Leben – ebenso wie das Vertrauen in den Staat und die Transparenz, zu wissen, in welche Leistungen die hohen Steuern investiert werden. Dennoch teilen die Dän:innen auch Verbesserungsvorschläge, die sich hauptsächlich auf weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen beziehen. Im Zuge dessen werden etwa Obdachlose, Menschen mit geringerem Bildungsgrad, ältere Personen und Migrant:innen genannt, die zusätzliche Unterstützung benötigen würden. Auch wird die Sorge ausgesprochen, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen könnte. Letztendlich zeigt sich aber deutlich, dass die allgemeine Zufriedenheit überwiegt und sich die Dän:innen – vor allem im Vergleich zu anderen Ländern – privilegiert fühlen.

Tag 4 geht nach vielen spannenden Gesprächen zu Ende. Jetzt heißt es die ganzen Gedanken rund um das Glücklichsein und die Zufriedenheit, aber auch die Schwierigkeiten in Dänemark zu sortieren. Bei einem abendlichen Spaziergang entlang des Wassers endet der Tag mit einer besonderen Überraschung: einem riesigen, wunderschönen Feuerwerk!

Die Brøndby Idrætsefterskole von außen

Mikkel Christoffersen, Direktor der Brøndby Idrætsefterskole

Alexander und Gustav, Schüler der Brøndby Idrætsefterskole

Speisesaal in der Brøndby Idrætsefterskole

Straßenumfrage in Kopenhagen

Feuerwerk

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