Rückblick Madeira
Etwas verspätet - sorry dafür - und zurück im grauen Wien noch einige abschließende Eindrücke meiner Reise:
Portugal hat ja infolge der Wirtschaftskrise ab 2008 gezielt um Remote Worker geworben, um ausländische Investitionen und qualifizierte Zuwanderer anzulocken. Die Strategie der niedrigen Steuern und einfachen Anmeldung lockte Tausende Menschen an. Das führte besonders in Lissabon und Porto zu stark steigenden Mietpreisen, gegen die die lokale Bevölkerung vehement protestierte. Siehe den eurotours 2023 Beitrag von Juliane Fischer.
Auf Madeira hingegen blieb der Unmut zumindest bisher aus. Mit höchstens einigen Hundert digitalen Nomad:innen, die gleichzeitig auf der Insel sind und sich auf viele Orte verteilen, fallen diese im Vergleich anderen Expats, etwa den vielen britischen Senior:innen, die hier überwintern, und den Zigtausenden Tourist:innen kaum ins Gewicht. Dennoch zeigen sich Probleme: Die Mietpreise sind explodiert - ein einzelnes Zimmer kostet heute mehr als eine Zwei-Zimmer-Wohnung vor zweieinhalb Jahren (damals 500 Euro).
Die geografischen Gegebenheiten verschärfen die Situation: Von Madeiras 741 Quadratkilometern - knapp zweimal die Fläche Wiens - ist wegen der bis zu 1.900 Meter hohen Berge und Steilküsten nur ein Drittel bewohnbar. Während die Bevölkerung durch Nomaden und europäische Rentner wächst, finden junge Einheimische kaum noch bezahlbaren Wohnraum.
Auch die Natur leidet unter dem Boom. Bergführer Pedro Trindade, mit dem ich in Funchal gesprochen habe, beklagt überlaufene Wanderwege und fehlendes Besuchermanagement. Der Flughafen operiert mit 50 Flügen täglich am Limit. Ab 2025 soll eine Wanderweg-Gebühr von drei Euro für die beliebtesten Wanderwege eingeführt werden - für viele ein zu zaghafter Schritt, den Trinidade dennoch begrüßt.
Dass sich viele der Nomad:innen ihrer Verantwortung durchaus bewusst sind, zeigen die regelmäßigen „Community Cleanups“, bei denen Parks und Wanderwege von Müll befreit werden. Die Zugereisten, so heißt es in den Beschreibungen glaubhaft, sind dankbar und wollen etwas zurückgeben. Damit Madeira so lebenswert bleibt, wie es ist.
Und Europa? Welche Rolle spielt es im Leben der Einheimischen? Wie ich gemerkt habe: Eine überraschend große. Madeira ist mehr als 950 Kilometer vom portugiesischen Festland entfernt, fühlt sich aber trotzdem sehr “europäisch” an. Die jungen Madeirer:innen, mit denen ich gesprochen habe, schätzen die Möglichkeit, problemlos reisen und EU-weit arbeiten zu können. Es gibt Direktflüge in viele europäische Hauptstädte, darunter auch nach Wien.
Viele junge Leute, mit denen ich gesprochen habe, lebten eine Zeitlang fernab Madeiras, um ihrerseits digitale Nomad:innen zu sein. Dann geht es etwa nach Lissabon, Brüssel oder Berlin. Die Lebensqualität auf Madeira ist wirklich hoch, es fehlt auch den meisten Expats an wenig. Und doch ist es gut, mit der restlichen Welt und Kontinentaleuropa gut angebunden zu sein.
Madeira hat als periphere Region aber auch besonders von der EU-Mitgliedschaft profitiert. Das Schnellstraßen-Netz etwa mit seinen vielen Tunnels ist neu und geht auf EU-Fördermittel zurück. Die EU-Mitgliedschaft, das merkt man, ist den Menschen wichtig. Auch wenn so manche Regelung den Einheimischen zu weit geht, ist doch auch das Lokal- und Traditionsbewusstsein groß.
Die EU wird aber auch als Korrektiv wahrgenommen: Auf Madeira gibt es viel Unzufriedenheit mit der Lokalregierung. Sie hat etwa schleppend reagiert, als es im Sommer zu tagelangen Waldbränden gekommen ist. Eine engagierte Lokalpolitikerin, mit der ich gesprochen habe, will den Fall ins Europäische Parlament bringen. So kommt vielleicht Druck in die Sache und am Ende auch eine Erklärung dafür, warum am Ende spanische Löschflugzeuge kommen mussten und keine portugiesischen. Auch eine umstrittene Seilbahn soll gebaut werden, mitten in einem Umweltschutzgebiet. Auch hier könnte Brüssel noch eine wichtige Rolle spielen, etwa wenn es um eine Umweltverträglichkeitsprüfung geht.