Der (überschätzte?) Skype-Effekt: wie aus einem Start-Up Hunderte wurden

Fährt man mit dem Bus in die Ülemiste City, ist es so, als ob man eine Stadt in einer Stadt besucht. Ein eigenes Ökosystem, das sich vom Rest Tallinns abhebt. So, wie die Flieger am Flughafen nebenan. Es gibt sogar eigene Legenden, die in dem hochmodernen Business-Park durch die Shared-Offices geistern. Eine, die das Leben vieler Menschen verändert und dem Buch der estnischen Wirtschaft ein neues Kapitel hinzugefügt hat. Fünf Namen, die eine neue Ära einleiteten: Zahti Heinla, Priit Kasesalu, Jaan Tallinn, Janus Friis und Niklas Zennstrom. Drei Esten, ein Däne, ein Schwede. Ihr gemeinsames Projekt: die digitale Kommunikation revolutionieren. Sie nannten das “Sky Peer to Peer”, kurz Skype.

Knapp 500 Unternehmen sind im Business-Park beheimatet. Das macht die "Ülemiste City" nach Tallinn und Tartu zum drittgrößten Wirtschaftsstandort des Landes. 

Ein voller Erfolg. Die Onlinetelefonie wird bald von Abermillionen Menschen aus aller Welt genutzt, wenig später klopft der Internetriese eBay an, bietet mehr als drei Milliarden Dollar. Ein paar Jahre darauf übernimmt Microsoft das Steuer, mit 8,5 Milliarden Dollar die finanzkräftigste Übernahme in der damaligen Konzerngeschichte. Die Gründer und frühen Softwareentwickler selbst verschwinden mit den Jahren aus dem Unternehmen — und beginnen selbst zu gründen. Ein Start-Up nach dem nächsten sprießt aus dem Boden, aus dem direkten und indirekten Umfeld Skypes sollen bis zu 1000 in aller Welt verstreut entstanden sein.

Bei weitem nicht alle davon in Estland, weiß Vaito Mikheim, Projektleiter der Deep-Tech-Abteilung bei Startup Estonia. Doch Skype habe dem Land einen beispiellosen Schub gebracht. Seit 2011 unterstützt, hegt und pflegt die staatlich finanzierte Agentur das Start-Up-Ökosystem in Estland. Anfangs waren mehr innovative Jungunternehmen das Ziel, heute ist es der Fokus auf besonders vielversprechende Bereiche. Denn das Ziel von 1.000 Start-Ups im Lande hat man längst übertroffen, aktuell sollen es rund 1.600 sein, erzählt Mikheim bei einem Besuch an der Sepise 7, einem Gebäudekomplex des Businessparks, wo hochmoderne Besprechungszimmer und verglaste Kleinbüros aneinandergereiht sind.

Und dennoch: zählt man die gesamte Wertschöpfung in der Kommunikations- und Informationstechnologie zusammen, macht der Sektor nur rund sieben Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aus. Und auch die Erzählung mit Skype könnte etwas missinterpretiert sein. Ja, die Start-Ups-Szene boomt. Vor allem in Tallinn und Tartu. Und ja, Skype als Flaggschiff hat definitiv inspiriert und attraktiviert. Aber hinter der Legende verbirgt sich eine für das Internetzeitalter lange Geschichte, die bis in die Sowjetzeit zurückreicht. Und das, was man bis dato erreicht hat, wird hervorragend vermarktet, lässt den nicht abzusprechenden Erfolg noch größer erscheinen.

Blickt man durch die Glasfassaden der Gebäude, springt einen das moderne Innenleben förmlich an. Draußen sind die Menschen in dicken Regenjacken eingehüllt, drinnen spielen sie im schicken Pullover Tischtennis oder sitzen mit ihrem Kaffee inmitten eines Miniatur-Palmenhauses.

Wie hat sich Estland also tatsächlich hochgemausert zum vielzitierten Hotspot der Start-Up-Szene? Auch hier wieder ein Spoiler: Es hat mit skandinavischen Banken, dem Erbe der Sowjetunion und der hochgradig digitalisierten estnischen Verwaltung zu tun hat.

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„Wir sind Europäer, auch wenn wir nicht in der EU sind“

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Irgendwo zwischen Holz und Papier