Estlands Digitale Transformation: Der Weg in eine bürokratiefreie Zukunft
Seit den frühen 2000er-Jahren ist Estlands Verwaltung digitalisiert und nahezu bürokratiefrei. Eine inspirierende Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie Digitalisierung ständige Verbesserung erfordert und die Zukunft des öffentlichen Dienstes auch in Österreich aussehen könnte. Doch wie hat Estland diesen digitalen Wandel erreicht, und wie können andere Länder von dieser Erfolgsgeschichte lernen? Zum Ende meiner Reise hier nochmals eine Zusammenfassung, was “Digital Estonia” tatsächlich ausmacht, anhand des Interviews mit dem estnischen Staatssekretär für digitale Transformation, Lukas Ilves und den Stimmen der EstInnen.
Eines ist Estland, Österreich auf jedenfalls voraus - der öffentliche Dienst ist 100 Prozent digital und das seit mehreren Jahren. UnternehmerInnen, BürgerInnen und der Staat haben seit den frühen 2000er-Jahren keine unnötige Bürokratie mehr. 24/7 sind alle öffentlichen Dienste auch am Smartphone verfügbar, erklärt mir Staatssekretär Lukas Ilves: „In my opinion thats the way every modern public service should work”
Bereits 2001 wurde die Verwaltung zum ersten Mal in Estland digital. Grund dafür: Nach der Unabhängigkeit des Landes 1995 mussten sowieso alle öffentlichen Dienste neu aufgestellt werden - eine predigitale Version der estnischen Verwaltung gab es also nicht. Seit damals wurden immer mehr Prozesse angepasst. Heute läuft alles über eine Plattform.
Online wählen seit 2004
Seit 2004 kann in Estland online gewählt werden. Haben vorerst nur fünf Prozent der WählerInnen online gewählt, haben bei der letzten Wahl Ende März 2023 bereits rund 50 Prozent, also die Hälfte aller EstInnen online gewählt, erklärt Ilves stolz. Gerade für ein kleines Land wie Estland sei die Möglichkeit des Online-Votums wichtig, da Estland nicht in jedem Land eine Botschaft habe. In naher Zukunft soll es in Estland sogar möglich sein, am Handy zu wählen.
Mit dieser Entwicklung will mir Lukas Ilves zeigen, dass sich die digitalen Technologien in Estland auch heute noch ständig weiterentwickeln. Digitalisierung bedeute, Dinge auszuprobieren, wieder neu aufzusetzen und erneut zu verbessern, genau da liege die Schwierigkeit, mit der viele Regierungen auch zu kämpfen hätten, so Ilves.
Heute stelle sich vielmehr die Frage, wie Prozesse einfacher gestaltet werden können. Man schaue sich anhand vorhandener Daten an, wie man Meinungsprozesse ändern und flexibler machen könne, um beispielsweise das Ergebnis der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Denn mit allen gesammelten Online-Daten könne man den Menschen ganzheitlich betrachten und überlegen, wie Technologie gerade in den Themen Klima, Gesundheit, Arbeitsproduktivität etc. helfen können. In den letzten Jahren sei so beispielsweise personalisierte medizinische Hilfe verbessert worden. Es gehe darum alle Daten zu kombinieren und bereits frühzeitig Krankheiten zu erkennen und so auch vorzubeugen.
Zudem stehe derzeit die Frage im Raum, wie man Daten rund um das Thema Umwelt und Klima nützen könne, um gegen den Klimawandel anzukämpfen, so Ilves. Beispielsweise anhand der vorhandenen Daten den ökologischen Fußabdruck von Firmen zu minimieren oder mittels Steuern das ganze lenken zu können.
Wie AI im öffentlichen Sektor helfen könnte
Seit fünf Jahren wird in Estland auch mit AI im öffentlichen Sektor experimentiert. Über 100 Experimente laufen derzeit. Und die Ergebnisse zeigen, dass Artificial Intelligence in der Verwaltung deutlich helfen könnte. AI könne beispielsweise helfen neue Jobs zu finden. Bei einem Experiment, bei dem sowohl AI Jobvorschläge als auch das Arbeitsamt Jobvorschläge an Arbeitslose abgab, blieben jene, die den AI-Job gewählt hatten, im Schnitt ein Jahr länger in ihren Jobs. Wenn AI im Jobcenter Telefonanrufe übernehme, könnten sich beispielsweise die TelefonistInnen selbst auf die schwierigen Fälle konzentrieren. Mithilfe der AI könnten sich also Menschen in ihren Jobs laut Ilves auf komplexe Dinge konzentrieren und einfache Prozesse und Aufgaben abgeben.
Das bedeute nicht, dass man heute alles an AI abgeben müsse, Jobs verloren gingen etc. aber es sei eine gute Möglichkeit Daten, die bereits existieren zu nützen und sich so Zeit und Ressourcen zu sparen. Gerade in Sachen Klimawandel und dem Blick auf die Zukunft könnte AI laut Ilves helfen. Um in AI zu vertrauen, brauche es aber viel Transparenz. Zudem benötige es auch immer eine Möglichkeit für Menschen in Prozesse einzugreifen.
Ilves ist sich sicher, das öffentliche Verwaltung etc., wenn sie nachhaltig funktionieren sollte, in Zukunft nur mehr digital möglich ist. Über die digitale Sicherheit macht er sich keine Gedanken. Man müsse bereits beim Aufbauen digitaler Strukturen an die digitale Sicherheit denken und dürfe nicht vergessen, dass Bürokratie oft viel mehr Unsicherheiten als Digitalisierung bringe. Als Beispiel spricht Ilves die Krankenakten von Michael Schumacher an, bei denen während der Operationen etc. nie mitverfolgt werden konnte, wer die Daten alle gesehen hatte. Anders in Estland, denn wer in sein E-Health-System schaut, weiß genau jeden einzelnen Klick und Einblicke von Ärzten in die Akten.
Das Interview mit Ilves zeigt, Digitalisierung kann in alltäglichen Prozessen, könnte aber auch in Zukunft bei Fragen rund um Umwelt und Transformation helfen. Eines braucht es aber immer, das Vertrauen der Menschen in AI und deren Kontrolle.
Und worin sehen die EstInnen selbst ihre Kompetenz?
Vom Politiker über die LehrerInnen bis zu den ExpertInnen habe ich in dieser Woche viele ganz unterschiedliche Meinungen gesammelt und Interview geführt. Zum Ende meiner Reise will ich jetzt noch von den EstInnen auf der Straße wissen. Worin ist euer Land richtig gut? Was können EstInnen besser als andere?