Tag Zwei in Gdańsk: Viel Lärm um Nichts
Nach dem Frühstück hatte ich mir vorgenommen, energischer bei Kontaktadressen anzuläuten, bei denen ich zuvor nur höflich „angeklopft“ hatte. Das Schrillen einer Sirene machte mir einen Strich durch die Rechnung. Drei laute Alarmtöne gefolgt von einer polnischen Ansage, gefolgt von einer englischen und einer deutschen Ansage, die meinen Verdacht bestätigen: Feueralarm. Bevor ich den polnischen/englischen/deutschen Anweisungen folge, lasse es ich mir nicht nehmen, meinen Laptop-Lader aus der Tasche zu fischen und ihn gemeinsam mit dem Gerät in der Hülle unter meinen Arm zu klemmen. Wenn das Hotel schon abbrennt und ich in einer Notunterkunft die Nacht verbringe, möchte ich wenigstens darüber bloggen können.
Gott sei Dank hat sich nichts dergleichen begeben und ich konnte nach 5 Minuten wieder mein Hotelzimmer betreten. Ein paar Telefonate später hatte ich neue Termine für die Woche, die Besuche beim Büro der Solidarność und dem Solidaritäts-Zentrum rutschten allerdings in meinem Zeitplan nach hinten. Daher beschloss ich den Tag für Besuche bei anderen Schauplätzen zu nutzen, nämlich der Ostrow-Insel und dem Museum des Zweiten Weltkriegs.
Auf der Ostrow-Insel im Fluss Vitsula befindet sich der Teil der ehemaligen Lenin-Werft, der heute noch in Betrieb ist. Ursprünglich wurde das Schiffswerk als Kaiserliche Werft Danzig gegründet und hat seit dem viele Leben gelebt - dazu mehr bei anderer Gelegenheit. Ich leihe mir ein Rad bei der Hotelrezeption aus und mache mich auf den Weg. Als es nur noch wenige Kilometer bis zum Gelände sind, beginnt sich auch die Landschaft um mich herum zu ändern. Die rote Backsteinromantik weicht meterbreiten Rohren, die sich durch die Landschaft schlängeln, untermalt durch die Klangkulisse ächzender Motoren und dem Surren von Metall. Ich biege mit dem Rad auf die Straße zum Gelände und merke schnell, dass ich nicht viel weiter kommen werde. Bevor ich von einem freundlichen Sicherheitsmann weggeschickt werde, sehe ich eine Charge Arbeiter:innen durch das Drehkreuz an seinem Wachtposten schreiten. Männer und Frauen aller Altersgruppen nicken dem Mann mit dichtem Schnauzbart und beunruhigend militaristischer Arbeitskutte zu.
Das Museum des Zweiten Weltkriegs ist im Vergleich zur vormals kaiserlichen Werft eine junge Institution. 2017 öffnete das Museum seine Pforten, unter einiger Kontroversen. Der PiS-Regierung war das Passion-Projekt von Donald Tusk, damals EU-Ratspräsident und aktuell wieder polnischer Ministerpräsident, ein Dorn im Auge. Die Aufarbeitung der polnischen Kriegsgeschichte ist ein politisch heißes Pflaster, das merkt man auch im Museum. Holprige Gedenkkultur beiseite war die Ausstellung eindrucksvoll kuratiert. Die Dauerausstellung ist leider stellenweise klobig in dem Versuch, Kommunismus und Nazifaschismus gleichermaßen für den Krieg verantwortlich zu machen. Dass waschechte Polen sich bei keinem der beiden beteiligten, ist selbstredend.