Montenegros (angst)freie Presse
Am Obersten Gerichtshof in Podgorica hätte heute eigentlich ein besonders medienwirksamer Prozess starten sollen. Milos Medenica, dem Sohn der ehemaligen Präsidentin des Höchstgerichts wird unter anderem die Bildung einer kriminellen Organisation sowie Tabak- und Drogenschmuggel vorgeworfen. Seine Mutter Vesna soll über die Schmuggelgeschäfte informiert gewesen sein - um ihn und seine Geschäftspartner zu schützen.
Vor dem Gericht haben sich eine Handvoll Journalist*innen versammelt. "Der Prozess wurde verschoben, da einer der Angeklagten erkrankt sei", erklärt eine Reporterin der Tageszeitung "pobjeda".
Medenica war von 2007 bis Ende 2020 Präsidentin des montenegrinischen Höchstgerichts. Im April vergangenen Jahres wurde sie am Flughafen Podgorica festgenommen, kurz bevor sie das Land verlassen konnte. Angelastet wird ihr der Amtsmissbrauch im Jahr 2019. Bereits zuvor wurden Medenica von der Opposition und NGOs Verstöße gegen das Antikorruptionsgesetz vorgeworfen. Auch dafür, dass sie als als Vertrauensperson des Langzeitmachthabers Milo Djukanovic galt, stand sie in der Kritik.
Dessen "Demokratische Partei der Sozialisten" (DPS), die Montenegro bis 2020 fast dreißig Jahre regierte, gilt nicht als großer Freund der Pressefreiheit. Unbequeme Journalist*innen verunglimpfte sie als „Volksverräter“ oder „Faschisten“ und versuchte, das öffentliche Fernsehen unter ihre Kontrolle zu bringen.
Journalist*innen mussten in Montenegro lange mit Drohungen und Anschlägen - darunter Schüsse, Brand- und Bombenanschläge auf Redaktionsräume, Autos und Wohnhäuser - rechnen. Besonders jene, die zu Korruption oder dem organisierten Verbrechen und dessen Verbindung in die Politik recherchierten. Die meisten dieser Anschläge blieben ungeklärt, kritisiert Reporter ohne Grenzen.
So auch jener auf Olivera Lakić. Nach einer Reihe von Artikeln zum Schwarzhandel mit gefälschten Tabakwaren im Jahr 2011 erhielt sie mehrere Drohungen, berichtete dennoch weiter und wurde wenige Meter von ihrer Haustür entfernt angegriffen. Rund sechs Jahre später schoss ihr an fast derselben Stelle am 8. Mai 2018 ein Mann ins Bein. Der Schütze entkam und konnte bislang nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Dass der Angriff in direktem Zusammenhang mit ihren Recherchen stand, bezweifelt in Montenegro kaum jemand. Festgenommen wurden seitdem Angriff zwar mehrere Tatverdächtige - darunter auch ein ehemaliger Sicherheitsbeamter von Vesna Medenica - juristisch belangt wurde aber niemand.
In den letzten beiden Jahren gelang dem Land in der Rangliste der Pressefreiheit ein großer Sprung. Montenegro liegt 2023 auf Platz 39 vor den Nachbarn Kosovo (56.), Bosnien und Herzegowina (64.) Serbien (91.) und Albanien (96.) und auch nicht all zu weit hinter Österreich (29.).