Schuldenberater: “Die Leute kommen erst, wenn das Kind im Dreck liegt”
Taschentücher sind sein wichtigstes Arbeitswerkzeug. Denn im Büro von Christian Schumacher kullern regelmäßig die Tränen. Als Schuldenberater ist er oft so etwas wie der letzte Rettungsanker, wenn Menschen die Existenzängste über den Kopf wachsen: „Manche sprechen hier überhaupt zum ersten Mal über ihre Probleme.“ Vorstellig wird bei Schumacher der Querschnitt der Gesellschaft: „Den typischen Schuldner gibt es so nicht. Zu uns kommen ganz normale Leute – manche wurden krank, andere arbeitslos.“ Was sie eint: Über Geldsorgen zu sprechen, fällt ihnen schwer. „Niemand soll davon wissen – weder Nachbarn noch Freunde.“ Christian Schumacher erzählt von einer Familie, die aus Scham ihren Urlaub im Keller verbracht haben soll. „Ein bekannter Großstadtmythos, den man sich in Luxemburg erzählt.“
Einen sprunghaften Anstieg der Fallzahlen aufgrund der Inflation verbuche er aktuell noch nicht, sagt Christian Schumacher. Doch die Finanzkrise von 2008 hat ihn eine Sache gelehrt. Und zwar: Dass individuelle Krisen oft zeitversetzt eintreten. „Damals haben wir erst 2010 und 2011 die Not gespürt.“ Auch deshalb, weil viele lange nicht einsehen wollen, dass sie sich verkalkuliert haben: „Also versuchen sie zuerst, den Gürtel enger zu schnallen – aber alleine schaffen sie es aus dieser Situation nicht mehr heraus.“ Aus diesem Grund vergleicht Christian Schumacher seinen Dienst mit einem Trichter: „Die Schuldnerberatung steht am Ende des Leidensweges. Die Leute kommen erst, wenn das Kind im Dreck liegt.“
Eine Sache ist dem Experten, der seit fast 30 Jahren im Einsatz ist, ein besonderer Dorn im Auge: Bekommen strauchelnde Klient:innen bei der eigenen Hausbank keinen Kredit mehr, zieht es einige Luxemburger:innen über die Grenze. Denn in Belgien locken Kreditinstitute mit schnellem Geld. Die Krux: die Wucherzinsen im Nachklang. Gefährdete Kund:innen als Geschäftsmodell sozusagen.
Wie erreichen Präventionsprojekte ihre Zielgruppen? Eine Frage, die Christian Schumacher umtreibt. „Selbst die beste Webseite über Finanzbildung bringt nichts, wenn die Menschen sie nicht anschauen.“ Der gelernte Luxemburger sei träge und bewege sich nicht gern – metaphorisch gesprochen. Es bestünde ein gewisser Reichtum, der über Generationen weitergegeben wurde, aber natürlich auch schrumpfe. Vorsorgegespräche, die Christian Schumacher auf einer Häuslbauermesse anbieten wollte, blieben unbesucht. „Man sagt: Solange ich kein Problem hab, geh ich da nicht hin – nicht einmal um mich beraten zu lassen.“ Aus den Augen, aus dem Sinn.