Warum die Sache mit der Pflicht vielleicht nicht so einfach ist

Im Klassenzimmer von Madame Barbara wuselt es. Ich beobachte die Pädagogin und ihre 17 Schützlinge von einem winzigen Sessel aus, bei dem ich ehrlicherweise durchgehend Angst habe, dass er jeden Moment unter mir zusammenbricht. Es ist die zweite “ecole maternelle”, die ich hier in Belgien besuche, diesmal in Uccle, in einem ganz anderen Viertel im Süden von Brüssel.

Während Madame Barbara die zwei- bis dreijährigen Kinder am schuleigenen Spielplatz im Auge behält, erklärt sie, dass sie dafür wäre, dass das Pflichtschulalter in Belgien von fünf Jahre auf drei Jahre heruntergesetzt wird. "Weil die Kinder viel lernen, wenn sie früh mit anderen zusammen sind und sich leichter tun, wenn sie zum Beispiel Schwierigkeiten mit der Sprache haben."

Sie selbst hat drei Kinder mit einer anderen Muttersprache in ihrer Klasse. Diego aus Portugal und Dajyar aus Syrien lernen zum Beispiel mit den anderen Kindern spielend französisch und niederländisch.

Im Klassenzimmer sitzt Pädagogin Madame Barbara auf einem Sessel, in der Hand hält sie ein großes Bilderbuch, welches sie den Kindern zeigt, die rund um sie auf dem Boden sitzen

Madame Barbara und ihre Klasse

Das Argument teilt Liesje Vanhoeck im rund 50 Kilometer entfernten Antwerpen, den Wunsch nach der früheren Schulpflicht aber nicht. Liesje unterrichtet ihre zwei Söhne Oskar (13) und Otis (9) daheim. Sie hat auch vor sieben Jahren eine Homeschooling-Organisation gegründet, wo sich die Kinder der rund 400 teilnehmenden Eltern immer regelmäßig treffen, gemeinsam Ausflüge unternehmen oder im Buchklub frischen Lesestoff besprechen. Die Zahl der Kinder, die zu Hause unterrichtet werden, ist in Belgien zuletzt stark gestiegen.

Das belgische Schulsystem sei nicht gut genug, meint Liesje. Und erst recht nicht gut genug, um Kinder dazu schon früh verpflichten zu können, findet die Mutter. Sie berichtet von langen Wartelisten für die “creche”-Plätze und überforderten Pädagog:innen - auch weil Personalmangel herrscht. Sie ist nicht die Erste, die mir das in Belgien erzählt, das hört man von allen Seiten.

Wäre das System besser, würde Liesje ihre Kinder nicht daheim unterrichten, sagt sie. “Ich würde lieber normal arbeiten. Ich weiß aber, dass wir als Familie sehr privilegiert sind, mein Mann hat einen guten Job.” Den finanziell weniger gut aufgestellten Familien sei es die Politik schuldig, mehr Geld und Ressourcen ins Bildungssystem zu stecken, sagt Liesje.

Liesje Vanhoeck mit ihren Kindern Oskar und Otis zuhause am Küchentisch, wie sie ihnen Unterricht gibt

Oskar, Otis und Liesje

Was mir Barbara in der Schule und Liesje in ihrem Zuhause noch so erzählt haben und was Bildungsexpert:innen und Politiker:innen zur frühen Bildung sagen, gibt es dann bald in der Kleinen Zeitung zu lesen.

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