Von der Schule auf den Arbeitsmarkt
Müssen Bildung und Wirtschaft Hand in Hand gehen, damit der Arbeitskräftemangel bewältigt werden kann?
“In zehn Jahren werde ich vielleicht selbst junge Leute ausbilden”, antwortet Aleksandrs auf die Frage, wo er sich in zehn Jahren beruflich sieht. Der 16-Jährige ist Schüler an der “Ogres tehnikums”-Schule in der Stadt Ogre, 36 Kilometer südöstlich von Riga. Am Standort wurden vor mehr als zehn Jahren drei berufsbildende Schulen der Region zusammengelegt. Durch EU-Gelder konnte wenig später auch eine umfassende Renovierung des Schulcampus realisiert werden. Heute wird die Schule vom Bildungsministerium als Aushängeschild in Sachen Berufsausbildung präsentiert.
Aleksandrs ist im zweiten Jahrgang des forstwirtschaftlichen Zweiges und Tutor für die ersten Jahrgänge, die vor wenigen Wochen hier begonnen haben. Wie seine Mitschülerinnen und -schüler hat auch er seit Beginn seiner Ausbildung am “Ogres tehnikums” eine gewisse Stundenanzahl in der Woche in einem Unternehmen zu absolvieren.
Mit der dualen Lehre in Österreich dürfe man das aber nicht vergleichen, hat mir zuvor Dita Traidās erklärt. Sie ist die Direktorin der “Skills Latvia Agentur”, die unter anderen die Teilnahme Lettlands an den internationalen Berufsmeisterschaften “Euroskills” und “Worldskills” organisiert. In Lettland beginnen die Jugendlichen ihre handwerkliche Ausbildung nämlich nicht in einem Betrieb und werden dann in die Berufsschule geschickt. Vielmehr schließen die Schulen Kooperationsvereinbarungen mit Unternehmen ab, damit die Schülerinnen und Schüler zu ihren Praxistagen kommen - und erst im letzten Schuljahr arbeiten die Jugendlichen dann auch voll in den Betrieben mit. Diese Form der dualen Berufsausbildung kennt man in Lettland aber erst seit 2013 und es wird auch nicht flächendeckend eingesetzt.
Nach Traidās Einschätzung wird es außerdem mittelfristig nicht möglich sein das bisherige “alte” System, das ausschließlich schulbasiert war, vollständig aufzubrechen. Es sei gesellschaftlich zu sehr verankert. In Ogre bestätigt man mir das. Die Unternehmen zu überzeugen, einen jungen Menschen auszubilden, brauche viel Geduld, wie die Direktorin Ilze Brante erklärt. Und natürlich geht es da auch um’s Geld. Solange es eine EU-unterstützte Finanzierung dieses Ausbildungsprojektes gab, seien die Unternehmer leichter zu überzeugen gewesen. “Sie glauben, sie müssen der Schule helfen, dabei ist es genau umgekehrt: Die Schule hilft ihnen wettbewerbsfähig zu bleiben”, meint die Schulleiterin.
Im Bildungsministerium will man jedenfalls mit Vorzeigeschulen wie jener in Ogre Anreize für die Wirtschaft schaffen und das wiederum soll dazu führen, dass die jungen Menschen, die auf diese Weise ausgebildet werden ihre Arbeitskraft zukünftig in Lettland einsetzen. Das hofft Ilze Bulignina, die im lettischen Bildungsministerium für den Sektor der Berufsausbildung zuständig ist.
Dita Traidās erwartet von einer Berufsausbildung außerdem, dass sie breit gefächert ist. Durch den gesellschaftlichen Wandel reiche es nicht mehr aus, mit nur einer Spezialisierung aus der Ausbildung herauszugehen. Das sehe man auch im internationalen Vergleich.
Und auch spannend: Traidās meint, dass es Berufe bzw. Spezialisierungen gibt, die man erst als Erwachsener lernen sollte. Als Beispiel nennt sie das Bäckerhandwerk. “Das sollte man nicht in der Schule lernen”. Auf der anderen Seite gebe es aber auch Berufsfelder, die man schon in der Schule lernen müsste, um damit arbeiten zu können, wie etwa die Mechatronik.
Für mich wieder ein sehr spannender Tag - langsam fügen sich die einzelnen Rechercheergebnisse zu einem großen Gesamtbild zusammen.