Überraschende Begegnungen in Staaken

Der Verlauf der Berliner Mauer im Stadtgebiet hat einen hohen Bekanntheitsgrad und kommt wahrscheinlich den meisten Berlin-Besuchern unter. Nachdem ich auch die weniger touristischen Orte entlang der Mauer kennenlernen möchte, fahre ich heute nach Staaken. Die Etappe, die ich mir vornehme, verläuft gegen den Uhrzeigersinn und stellt mit rund 20 km einen Streckenabschnitt dar, den man zu Fuß gut an einem Tag bewältigen kann. Sowohl Staaken als auch das Tagesziel Hennigsdorf sind mit der S-Bahn gut erreichbar.

Staaken gehört zum Bezirk Spandau und lag in der britischen und sowjetischen Besatzungszone. Es wurde abweichend von den Berliner Bezirksgrenzen geteilt, weil damals jede der Besatzungsmächte einen eigenen Flughafen in Berlin haben sollte. So wurde der Flugplatz Gatow gegen Teile der Gemeinde Groß Glienicke und Seeburg getauscht und West-Staaken (sowjetisch) sowie Staaken in West-Berlin (britisch) entstanden. Verbunden waren die beiden Ortsteile durch den Grenzübergang Heerstraße.

Rund um die Kirche Alt-Staaken findet man Denkmäler anlässlich der Weltkriege und der Teilung

Als ich aus der S-Bahn aussteige mache ich noch einen kurzen Abstecher zur Dorfkirche Alt-Staaken und zum Denkmal für das Maueropfer Dieter Wohlfahrt. Der 20-jährige österreichische Staatsbürger war Chemiestudent und hat sich nach dem Mauerbau einer Fluchthilfegruppe angeschlossen. Er konnte aufgrund seines österreichischen Passes in Ost-Berlin einreisen und öffnete und schloss dort Gullydeckel, um Flüchtlinge über Abwasserkanäle in den Westen zu führen. Als er am 9. Dezember 1961 die Mutter einer Bekannten zwischen Staaken und Spandau über die Grenzsperren holen wollte, wurde er von der Grenzpolizei in einen Hinterhalt gelockt und erschossen.

Der Fluchthelfer wurde in einen Hinterhalt gelockt

Zufällig entdecke ich, nur wenige Meter vom Mauerweg entfernt, ein spannendes Lokal: Zum Österreicher im Schaukelpferd. Mich erwartet ein schöner Gastgarten mit roten Almdudler- und Meinl-Schirmen, eine bunte Musik-Mischung aus Melissa Naschenweng, STS und Josh und österreichische Küche. Auch wenn ich weder lange Zeit weg noch weit entfernt von der Heimat bin, fühle ich mich zu dem Ort hingezogen. Es gibt das Lokal seit 20 Jahren, erzählt mir der aus Kärnten stammende Wirt. Von der Mauer merkt man hier nicht mehr viel, er betont, dass sie ja schon lange weg war, bevor er hierher kam. Aber der Mauerweg und das hier umgekommene Maueropfer sind präsent - die Grenze war schließlich nur ein paar Meter entfernt. Er hebt die historische Bedeutung von Staaken hervor und kramt alte Bilder der Kirche und Fotos aus der Zeit der Mauer hervor, die ihm Einwohner überlassen haben. Ganz spontan finde ich hier Anknüpfungspunkte zu Österreich, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte.

Das Schild hat mich neugierig gemacht

Ich starte etwas verzögert mit meiner Tour am nordwestlichen Stadtrand von Berlin. Wohnsiedlungen und Kleingärten liegen auf meiner Strecke. Noch mehrere Gedenkstelen wie jene für Dieter Wohlfahrt kommen mir heute unter. Kurz Inne zu halten und die Geschichten zu lesen bietet sich an und gibt der Erfahrung, hier entlang zu gehen, eine ganz eigene Stimmung. Im Spandauer Forst komme ich zur West-Berliner Enklave „Eiskeller“. Das Gebiet erhielt seinen Namen aufgrund der hier vorherrschenden niedrigen Temperaturen, die es tatsächlich zu einer Lagerstätte für Eis machten. Es gab mehrere kleine Enklaven wie Eiskeller, die als West-Gebiete etwas außerhalb der Mauer lagen und nur mit großen Sicherheitsvorkehrungen erreicht werden konnten. Auch in Spandau und Schönwalde stoße ich auf weitere Gedenktafeln und Informationsstelen zum Thema Teilung und Mauer.

Die Informationsstelen entlang des Mauerweges

Der Weg bis zur Havel zieht sich dann ein wenig, und ich zweifle schon an meinem Orientierungssinn. Aber als ich den Fluss erreiche, hat sich die Anstrengung doch gelohnt. Nach einem kurzen Stück entlang des Ufers stoße ich auf einen Grenzturm, den man auch besichtigen kann. Die Menschen, die mir begegnen, nutzen das Ufer zu Erholung und Sport, zahlreiche Ein- und Mehrfamilienhäuser deuten auf eine gut situierte Wohngegend hin. Der Weg führt weiter entlang der Havel und bringt mich schließlich nach Hennigsdorf, wo ich wieder in die S-Bahn in Richtung Zentrum einsteige.

Der Grenzturm am Havelufer ist original erhalten

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