Verantwortung den jungen Menschen gegenüber
Auch mit dem Fahrrad kann man dem Verlauf der Berliner Mauer entlang des Mauerweges folgen. Dadurch werden die 160 km ein wenig kompakter und lassen sich gut in drei Tagen bewältigen. Fahrräder sind in der Stadt allgegenwärtig, mir fallen auch immer wieder ganze Gruppen auf, die offensichtlich einer Stadttour folgen: „Berlin on Bike“ steht auf den großen gelben Schildern, die die Räder hinten auf ihren Körben montiert haben. Ich nütze die Gelegenheit und schließe mich einer „Berliner Mauer Radtour“ an. Guide der Gruppe ist heute Wollo – er hat das Unternehmen vor 20 Jahren gegründet und gibt mir auch nach der rund 3,5 Stunden dauernden Tour noch weitere Einblicke.
Nachdem ich nach den vergangenen Tagen doch schon einige Kilometer in den Beinen habe fällt mir gleich auf, wie angenehm es ist, am Rad zu sitzen und relativ mühelos Strecken zu bewältigen. Mit 12 bis 15 km ist die Tour angeschrieben, sie führt durch den Stadtteil Prenzlauer Berg, zum Grenzübergang Bornholmer Straße, in den Mauerpark und entlang der Bernauer Straße, wo man an der Gedenkstätte Berliner Mauer einen sehr detaillierten Eindruck bekommen kann. Die Tour bietet eine angenehme Abwechslung aus umfangreichem geschichtlichem Hintergrundwissen, persönlichen Einblicken und Erinnerungen sowie sportlicher Betätigung.
Wollo erzählt von seinen Anfängen als Stadtführer, an denen er sich mit den Rädern auf die Straße gestellt und gewartet hat, ob jemand mitfährt. Das kann man sich bei dem regen Treiben heute kaum noch vorstellen, denn mittlerweile sind hier mehr als 100 Leute beschäftigt, die auf unterschiedlichen Routen radelnd die Stadt in den verschiedensten Sprachen zeigen. Einen großen Anteil der Teilnehmer machen Schüler aus, etwa 35.000 bis 40.000 sind das pro Jahr. Was besonders die begleitenden Lehrer schätzen – auch wenn sie öfters hierher mitkommen, gleicht keine Tour der anderen und es gibt jedes Mal wieder neue Aspekte. Die Berliner Mauer Radtour wird bereits seit dem Beginn im Jahr 2004 angeboten. Die Mauer rückt, je länger die Zeit der DDR zurückliegt, im Interesse bei den internationalen Gästen etwas in den Hintergrund, Jubiläen steigern die Aufmerksamkeit wiederum.
Die große Herausforderung ist heute, was man den – vor allem jungen – Menschen hier vermitteln kann und wie man das Thema interessant und relevant herzeigt. „Wir sind zwar heute weit davon entfernt, einen Teil des Landes einzusperren“, sagt Wollo. „Aber wenn man die Konzeptlosigkeit des Staates in vielen Aspekten erkennt, dann ist schnell der Ruf nach dem starken Mann da.“ Er sieht die Gefahren in der Autoritätsgläubigkeit und bei den vielen rechten Strömungen – sowohl in Europa als auch international. Die Mauer ist vor 35 Jahren gefallen, der Großteil der Teilnehmer ist wesentlich jünger. Was können wir für unsere Zeit daraus lernen und was können wir in die Zukunft mitnehmen? Gerade für die Flüchtlingsthematik bieten sich Gedankenspiele rund um „Mauer – Zaun – Grenze“ an. Wozu baut man Mauern? Wen will man schützen oder ein- bzw. aussperren? Er versucht, die Jugendlichen mit einfachen Fragen zum Nachdenken anzuregen. Die Berliner Mauer im Hintergrund ist als Anschauungsobjekt perfekt dafür geeignet.
Für mich ergibt sich nach diesen Tagen rund um den Berliner Mauerweg aus den verschiedenen Gesprächen ein vielfältiges Bild mit zahlreichen Eindrücken – die ich wohl erst zuhause sortieren und einordnen muss.