Und dann nischt wie raus nach Wannsee
Dass der Klassiker „Pack die Badehose ein“ den Wannsee besingt, war mir schon immer klar. Wo dieser genau liegt, weiß ich allerdings noch gar nicht so lange. Wannsee nennt sich einerseits der südwestlichste Ortsteil von Berlin, auch das Gewässer heißt so. Dieses ist strenggenommen aber gar kein See, sondern eine Bucht der Havel. Auch die Grenze von Berlin und Potsdam war zur Zeit des geteilten Deutschlands eine Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik, daher können wir dem Verlauf der Berliner Mauer entlang der Ufer folgen. Dabei darf ich heute mit einer Frau sprechen, von der ich seit meiner Kindheit oft gehört habe: Regina aus Berlin. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich früher jemals gefragt habe, warum meine Familie mütterlicherseits so eine enge Verbindung zu einer Berlinerin hat – seitdem ich den Hintergrund der Geschichte kenne, finde ich ihn jedoch wahnsinnig spannend.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die vier Siegermächte Deutschland in Besatzungszonen aufgeteilt, aus der sowjetischen ging schließlich die DDR hervor. Um ihre Bürger daran zu hindern, das Land zu verlassen, wurde ab Anfang der 1950er Jahre die 1.400 km lange innerdeutsche Grenze mit einer 5 km breiten Sperrzone, dem sogenannten „Eisernen Vorhang“, abgeriegelt. Da auch Berlin selbst in vier Besatzungszonen geteilt war und aber mitten in der DDR lag, hatten die drei westlichen Zonen Berlins schon immer eine besondere Situation. Hier konnte man sich auch nach dem Bau des Eisernen Vorhangs noch relativ lange frei zwischen dem Ost- und dem West-Teil der Stadt bewegen. Da zunehmend Menschen aus der DDR flüchten wollten und die innerdeutsche Grenze unüberwindbar war, nutzten sie ihre Chance in Berlin und flüchteten dort in die Bundesrepublik. Die Zahl der Menschen, die das taten, nahm stetig zu und erreichte 1961 einen Höchststand von täglich 300 DDR-Bürgern. Das war natürlich ein Problem für die DDR und ein Zustand, den man so nicht wollte. Auf einer Pressekonferenz im Juni 1961 wurden die Worte vom DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht berühmt und gingen später als „größte Lüge des Jahrhunderts“ in die Geschichte ein: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ sagte er damals – zwei Monate später wurde die Mauer errichtet.
Reginas Eltern haben die DDR mit ihren damals sieben Kindern im August 1960 verlassen. Auffallen durfte man dabei trotz der zu dem Zeitpunkt noch nicht abgeriegelten Grenze dennoch nicht. Sie erzählt, wie sie versuchten, so viel wie möglich unauffällig im Kinderwagen zu transportieren, und dass sich die Familie durch eine im Zug vergessene Zeugnismappe ihres Bruders davor fürchtete, bei ihrem Vorhaben erwischt zu werden. Die Flucht gelang und sie kamen ins Notaufnahmelager Marienfelde – zuerst zu neunt auf 30 m2, später bekamen die Eltern noch ein Schlafzimmer dazu. Die Zahl der Flüchtlinge aus der DDR war hoch und man hatte nicht viel – man merkt in Reginas Erzählung, dass sie ihren Eltern bis heute dankbar für diesen grundlegenden Schritt in die Freiheit ist. Im Jahr 1962 konnte die Familie schließlich in ihre eigene Wohnung umziehen – und Regina durfte mit 1.000 anderen Kindern für die Sommerferien ins Ausland. Ein Programm für jene Kinder, deren Familien sich keine Urlaubsreisen leisten konnten. Meine Großeltern hatten eine Landwirtschaft in der Südsteiermark und erklärten sich bereit, ein solches Kind bei sich aufzunehmen. Da Regina zu den aus der DDR geflohenen Kindern gehörte, war sie in der Gruppe, die von Berlin nach Nürnberg geflogen ist. Erst dort stieg sie zu den anderen Kindern in den Zug, der aus Berlin kam und fuhr weiter nach Graz. Anfangs hatte man nämlich noch Sorge, dass die zuvor illegal aus der DDR ausgereisten Kinder dort eventuell aufgehalten worden wären.
So wurden meine Großeltern für Regina zu Tante und Onkel und meine Mutter und ihre beiden Schwestern zu Reginas steirischen Freundinnen. Anfangs war der Dialekt gewöhnungsbedürftig, mein Opa bemühte sich sehr, ihr Steirischen Kren schmackhaft zu machen und das kulinarische Aushängeschild der Region – Kernöl – kann sie bis heute nicht wirklich leiden. Mit dem Schulferienprogramm kam Regina noch mehrere Sommer, durch die entstandene Freundschaft fuhr sie auch später gerne in die Steiermark - und kommt auch nach über 60 Jahren noch regelmäßig zu Besuch.
Wir starten am S-Bahnhof Griebnitzsee, wandern durch das Villenviertel entlang des Sees und kommen schließlich zur Glienicker Brücke. Sie war der Schauplatz des spektakulären Agententauschs im Kalten Krieg, der auf der Mitte der Brücke direkt an der Grenze stattfand. Drei Mal wurden insgesamt 40 Personen auf diesem Wege „ausgetauscht“. Der Weg führt uns weiter nach Wannsee, von wo aus man am Mauerweg die Fähre nach Kladow nimmt. Weiter geht es dort dann parallel zum Ufer entlang der Imchenallee nach Groß Glienicke und nach Staaken. Regina schwelgt sichtlich in positiven Erinnerungen an die unbeschwerten Sommerferien ihrer Jugend. Ich bin beeindruckt vom Panorama des über 1 km langen, von der Ostsee stammenden, Sandstrands im Strandbad Wannsee, den wir von der Fähre aus der Ferne sehen können. Der Tag wäre heiß genug, um einfach ins Wasser zu springen. Allerdings machen aktuell die Blaualgen, die die Wasseroberfläche überziehen, das Schwimmen hier zu keinem besonders einladenden Vergnügen.