“Kuklus” – ein bescheidenes Volk

Monika Stradner, Litauen

Viele Fragen noch viel mehr Eindrücke, Gespräche und auch Antworten. Bald 20 Jahre EU-Mitgliedschaft war einer meiner Gedanken bei der Vorbereitung der Recherche-Reise. In Gesprächen wird schnell klar: die Mitgliedschaft hat hier vieles ermöglicht. Förderungen für Investitionen wurden durchwegs positiv erwähnt, auch die Möglichkeiten, die der unbeschränkte Personen- und Warenverkehr mit sich bringt. Das wissen vor allem jene zu schätzen, die das Leben vor der litauischen Unabhängigkeit kannten. Viele Veränderungen, mit denen die Landwirtinnen und Landwirte heute z.B. beim Thema Pflanzenschutz durch den Green-Deal konfrontiert sind, werden kritisch gesehen. Ein Argument, das häufig genannt wird: diejenigen, die Gesetze machen und Maßnahmen fordern, sitzen nur vorm Bildschirm und haben keine Ahnung von der praktischen Arbeit. Diese Aussage höre ich auch in Österreich oft.

Die Solidarität mit der Ukraine ist sehr stark spürbar. “Wir haben ja früher einmal zusammengehört, damals hat Litauen sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckt” ein Hinweis auf das Großfürstentum vor vielen Jahrhunderten zumindest eine nach dem damaligen Großfürsten Vytautas benannte Straße gibt es gefühlt in jeder Stadt. Näher liegen die Erinnerungen an die Zeit in der Sowjetunion: “Wir haben unsere Chance genutzt und uns Richtung Westen orientiert. Wir wussten, dass wir dafür nicht viel Zeit haben würden”, erzählt mir jemand sichtlich froh bzw. nahezu erleichtert darüber, heute Mitglied bei EU und NATO zu sein.

Biologisch bewirtschaftet wurden im Jahr 2021 etwa 9% der landwirtschaftlichen Fläche Litauens. Das ist zwar viel weniger als in Österreich (rund 26%), liegt aber ziemlich genau im EU-Durchschnitt von etwa 10%. Die beiden Bio-Märkte, die ich mir in Vilnius angeschaut habe, scheinen hauptsächlich für die urbane Mittelschicht attraktiv zu sein. Die Landwirte, mit denen ich spreche, sagen, dass das Potenzial für Bio-Absatz im Land sehr klein ist und die Produktionsweise nur für wenige attraktiv. Die Inflation beträgt im Moment rund 20%, die Leute müssten aufs Geld schauen. Und auch früher hätten sie bei Lebensmitteln eher auf den Preis geachtet als auf die Herkunft oder Produktionsweise.

Beim Thema Digitalisierung werden die baltischen Staaten häufig als sehr fortschrittlich wahrgenommen. Für mich persönlich hat sich das nach ein paar Tagen in Litauen nicht anders angefühlt als an vielen anderen Orten auch. Man entwertet Bustickets mittels QR-Code, in Lokalen sind Speisekarten häufig nur noch digital verfügbar, auch sein Trinkgeld kann man bargeldlos online übermitteln. Das Parkticket wird zwar nicht ausgedruckt, wenn ausländische Kreditkarten nicht funktionieren und die dementsprechende App nur in der Landessprache verfügbar ist scheitert man am Ende jedoch erst wieder an den nicht vorhandenen Münzen. Schon klar diese kleinen Hürden des touristischen Alltags sagen wenig über den Grad der Digitalisierung eines ganzen Staates bzw. von administrativen Vorgängen aus. Daher habe ich mir den DESI, den “Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft”, der Fortschritte in den EU-Mitgliedsstaaten objektiv miteinander vergleicht, angeschaut. Litauen liegt hier im Jahr 2022 auf Platz 14 und damit ganz leicht über dem EU-Durchschnitt, Österreich auf Platz 10. Wo Litauen deutlich besser abschneidet sind die digitalen öffentlichen Dienste, es wurde hier z.B. in der Medizin und bei behördlichen Angelegenheiten viel investiert. Der Einsatz digitaler Anwendungen im landwirtschaftlichen Bereich ist wohl schwieriger mess- bzw. darstellbar zu machen. Aus meinen Interviews habe ich grob den Eindruck bekommen, dass aus institutioneller Sicht vieles ermöglicht wird bzw. Unterstützung vorhanden ist. Die Umsetzung liegt allerdings ganz allein bei den handelnden bzw. entscheidenden Personen, hier müssen die Generationen auf den Betrieben ihre Kompromisse finden. Und das ist wohl über sämtliche Grenzen hinweg und in vielen Sparten sehr ähnlich.

Um schließlich einerseits mit immer moderneren Geräten fachgerecht umgehen zu können und andererseits auch zu wissen, wie man die generierten Daten richtig interpretiert, bedarf es entsprechender Bildung. Das Angebot reicht von Einführungen der Unternehmen, die die dementsprechende Technik vertreiben über die Landwirtschaftskammer bis hin zu Beratern, die sich ganz gezielt auf die Datenanalyse spezialisieren. Im Herbst startet in Kaunas ein neuer Studiengang, der sich auf die digitalen Anforderungen der Landtechnik in Kombination mit der Landwirtschaft konzentriert. Zum Zeitpunkt meiner Recherche ist noch unklar, wie viele Studenten hier tatsächlich starten werden. Die Herausforderung von sinkenden Studierendenzahlen ist nicht nur an der Universität ein Thema, auch in Litauen sind Arbeitskräfte ein knappes Gut und Landwirtschaft grundsätzlich kein sehr “hipper” Arbeitsplatz. Das sehen die jungen Landwirtinnen und Landwirte, mit denen ich sprechen durfte, als problematisch. Viele würden beim Arbeitsplatz “Bauernhof” an finstere Zeiten, Mist und schlechte Arbeitsbedingungen denken. Von diesem Image möchte man hier unbedingt wegkommen, um auch in Zukunft Jugendliche für die Landwirtschaft, Lebensmittelproduktion und das Leben im ländlichen Raum zu gewinnen.

Und die Menschen? Wie sich die Litauer selbst sehen und was sie für ihre einzigartige, “besondere Fähigkeit” halten, wollte ich in meinen Gesprächen immer wieder herausfinden. Dass sich mit der Beantwortung dieser Frage viele schwer getan haben lässt sich im Nachhinein erklären: “kuklus” war das Wort, für das wir erst einmal die Übersetzung suchen mussten. Die Litauer sind nämlich bescheiden und wollen sich nicht so sehr in den Mittelpunkt rücken. Sie nehmen die jeweiligen Gegebenheiten hin, passen sich an und machen dann für sich das Beste daraus. Weil sie schon seit den Römern immer wieder “zwischen verschiedenen Völkern” gelegen sind. Und flexibel, ehrgeizig und fleißig sind, um ihre Ziele zu erreichen.

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„Wir werden auch nach dem Krieg weitermachen“

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Gerechtigkeit eines Tages?