Vielfältige Lebensmittelproduktion

Monika Stradner, Litauen, 28. Juli

Im Lauf dieser Woche hatte ich auch die Gelegenheit, mir landwirtschaftliche Betriebe in Litauen anzuschauen. Das Englisch der jungen Landwirtinnen und Landwirte ist sehr gut, sie haben alle an der Universität in Kaunas Landwirtschaft studiert. Die Betriebe haben ihre Eltern gleich nach der Unabhängigkeit Litauens – Anfang der 1990er Jahre – gekauft.

Regina Bernatonienė zeigt mir ihren Milchviehbetrieb, den sie gemeinsam mit den Eltern, dem Bruder, ihrer Schwägerin und ihrem Ehemann bewirtschaftet. Auf etwa 150ha Fläche produzieren sie das Futter für knapp 100 Kühe. Sie sagt, dass das so zwar nicht ganz effizient ist, aber sie leben alle gemeinsam unter einem Dach. Und ihr Ehemann arbeitet zwei Tage pro Woche auch in einem anderen Beruf – „da kann er sich dann von der Arbeit am Hof ausruhen“, scherzt Regina. Die litauischen Milchbauern haben ein schwieriges Jahr, weil der Milchpreis sehr niedrig ist – einige hören auf oder wechseln den Betriebszweig, das ist eine langfristige Entscheidung. Hier am Hof wird weiter investiert: zwei Melkroboter werden bald im Einsatz sein. Dann können sich Regina und ihre Schwägerin auf die Käseherstellung konzentrieren. Aktuell geht die hier produzierte Milch als Milchpulver in den Export. Käse direkt zu vermarkten wäre eine Chance, finanziell unabhängiger zu werden.

In Litauen startet die Getreideernte heuer Ende Juli, etwa einen Monat später als in Österreich. Auf halbem Weg zwischen Kaunas und der nordwestlich davon gelegenen Stadt Šiauliai spreche ich mit den Brüdern Arnas und Titas Šiušė. Sie bewirtschaften gemeinsam mit einem weiteren Bruder und ihrem Vater über 2.000ha – Weizen, Raps, Mais, Gerste, Zuckerrübe und Ackerbohne. Auch zu diesem Betrieb gehören 300 Milchkühe – sie erfüllen für den Ackerbau einen wichtigen Zweck als Düngerproduzenten. Neben den Landwirten sind hier auch rund 40 Mitarbeiter beschäftigt. Die meisten von ihnen haben die berufsbildende Schule in Kėdainiai besucht. Sie müssen sich vor allem mit der Technik und den Maschinen auskennen. Die Traktoren bewegen sich hier seit drei Jahren bei der Aussaat, Düngung und Ernte mit GPS-Steuerung, bei der Überfahrt messen Sensoren Bestandsdichten und Nährstoffgehalte der Pflanzen. Die großen Vorteile der digitalen Hilfsmittel: die Arbeit wird leichter und weniger anstrengend, Betriebsmittel viel effizienter eingesetzt und so Produktionskosten gespart. Außerdem wird hier schon lange nicht gepflügt, der Vater hat vor fast 20 Jahren auf Direktsaat umgestellt. Das ist nicht nur gut für das Bodenleben, auch die Voraussetzungen für „Carbon farming“ – also das langfristige Speichern von Kohlenstoff im Boden – sind dadurch optimal.

Julius Šateika ist mit seinem Vater einer der größten Gemüseproduzenten im Baltikum. Etwas nördlich der Stadt Šiauliai werden hier heuer 192ha Zwiebel und 165ha Karotten angebaut. Gemüsebauern gibt es in Litauen etwa 150, etwa 10% von ihnen in ähnlicher Größe. Ihr Know-how holen sie sich auf den großen europäischen Landwirtschaftsmessen, z.B. in Hannover. Seine Flächen werden zu einem großen Teil bewässert – sonst würde es mit dem Ertrag heuer nicht gut aussehen. Anfang August startet hier am Betrieb die Hochsaison. Rund 80 Mitarbeiter aus der Umgebung sind ganzjährig hier beschäftigt. Julius selbst hat auch viel Schreibtischarbeit: die „GlobalG.A.P.“-Zertifizierung – ein Standard, der unter anderem Kriterien zu nachhaltiger Produktion und Arbeitsbedingungen überprüft, öffnet seinem Gemüse den Zugang zum europäischen Markt. Digitale Hilfsmittel werden hier vor allem zur Temperatursteuerung und -kontrolle im Lager und in der Sortierung und eingesetzt – die Anlagen sind allerdings mit hohen Investitionskosten verbunden. Außerdem erzählt mir Julius, dass er in Schulen geht und Klassen zu sich einlädt: er möchte zeigen, wie Gemüse produziert wird und wie Landwirtschaft heute funktioniert. Das ist einerseits wichtig für die Konsumenten, aber auch um zu vermitteln, dass die Landwirtschaft ein attraktiver Arbeitsplatz sein kann: „Alle wollen vorm Schreibtisch sitzen, bei Landwirtschaft haben viele ein sehr veraltetes, negatives Bild.“

Nicht einmal 2km entfernt befindet sich der „Berg der Kreuze“, eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Litauen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts haben die Menschen an diesem Ort Kreuze aufgestellt. In der Sowjetzeit wurde versucht, die Pilgerstätte zu zerstören – es kamen jedoch rasch immer wieder neue Kreuze dazu und der Berg gewann zunehmend Bedeutung, auch als politisches Symbol. Der Ort ist auf jeden Fall einzigartig und einen Zwischenstopp wert.

Nachdem das Ende meiner Recherche-Reise naht bleibt am Rückweg nach Vilnius noch Zeit für ein letztes Treffen mit einem ganz anderen Landwirt: Valentinas Civinskas war Investment-Banker, in Dänemark hat er Vertical farming kennengelernt und das Konzept in seine Heimat gebracht. Anfang des Jahres hat er mit „Leafood“ begonnen, Blattgemüse wie Eisbergsalat und Rucola zu produzieren. Das System stammt aus Taiwan: es sind schwimmende Platten, auf denen z.B. Spinat in drei Wochen wächst. Das Gemüse ist ganzjährig frisch und direkt hier in der Stadt verfügbar, alles ist digital vernetzt und die Wachstumsbedingungen ständig überwacht: von der Temperatur über die Beleuchtung bis zum Nährstoffgehalt im Wasser. Obwohl Valentinas Gemüse produziert ist er aber kein Landwirt: er arbeitet weder mit großen Flächen noch mit Erde. Wenn die ganze Halle in Betrieb ist kann er mit seinen ca. 30 Mitarbeitern auf der Grundfläche von 900m2 etwa 10% des litauischen Bedarfs an Blattgemüse decken. Eine weitere, ganz andere Perspektive in puncto nachhaltige, regionale Lebensmittelproduktion. Mit vielen Eindrücken und einem umfassenden Einblick trete ich meine Heimreise nach Österreich an…

Zurück
Zurück

Open Source Intelligence in der Kriegsberichterstattung

Weiter
Weiter

Remote-first & die Suche nach Work-Life Balance