Der EU-Beitritt Montenegros

Schläfrige Aufarbeitung – die Folgen der fehlenden Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit

Montenegro ist wahrscheinlich das nächste Land, das in die EU aufgenommen wird. Doch die EU hat Forderungen – und in einer davon kommt Montenegro nur schleppend voran: die Aufarbeitung der eigenen Kriegsverbrechen und das Eingestehen und die Bearbeitung der eigenen Schuld während der Jugoslawienkriege. Dieses Schweigen hat nicht nur politische und gesellschaftliche Folgen, sondern auch höchstpersönliche für viele Montenegriner. Doch es gibt zivilgesellschaftliche Stimmen und Initiativen, die die Aufarbeitung immer wieder vorantreiben.

TAG 1

Manchmal geht die eine Tür zu und dafür eine andere auf: dann ändert sich das Thema der Reise nach Montenegro.

Mein großartiger Kameramann Daniel und ich fahren nach Montenegro, um herauszufinden, wie die Montenegriner:innen mit ihrer eigenen Beteiligung an den Jugoslawienkriegen umgehen. Die waren zwar nie so tief im Krieg verwickelt wie Serbien, Bosnien-Herzegowina oder Kroatien, doch schuldig haben sie sich dennoch gemacht: zum Beispiel bei der Belagerung Dubrovniks im Jahr 1992.

Rund 15.000 montenegrinische Soldaten überfielen damals Kroatien und zogen Richtung der UNESCO-geschützten Stadt Dubrovnik. Dabei töteten und plünderten

Wir sprechen mit einem ehemaligen Soldaten darüber, wie er mit seiner eigenen Schuld umgeht und mit Expert:innen darüber, wie die montenegrinische Gesellschaft die Schuldfrage behandelt.

Nach der Ankunft in Podgorica haben wir in der Stadt Interviewsettings für morgen gesucht. Zum Abendessen haben wir uns mit einem vom ÖAD entsandten Deutsch-Dozenten und zwei seiner Studierenden getroffen. Die beiden, Mili und Mico, übersetzen die nächsten Tage für uns.

Wir haben dabei zwei Ziele: einen informativen Beitrag für okto TV und einen Trailer für eine mögliche Kino-Förderungs-Einreichung mit der Produktionsfirma Red Monster.

TAG 2

„Sa Lovćena vila kliče oprosti nam, Dubrovniče!”

Ein Satz, der uns am ersten intensiven Recherchetag viel beschäftigt hat. Eine exakte Übersetzung steht zwar noch aus, aber der Inhalt ist klar: 1991 baute sich in Montenegro ein Hass auf Kroatien auf. Medien und Politiker:innen verschärften den Ton und berichteten fälschlicherweise von Tausenden kroatischen Soldaten an der Grenze zu Montenegro. Die Kriegspropaganda wirkte und Montenegro überfiel das benachbarte Kroatien und belagerte Dubrovnik.

Zur gleichen Zeit versammelten sich in Cetinje, einer Stadt am Fuße des mystischen Berges Lovćen, tausende Menschen und riefen: „Vom Lovćen aus rufen wir: Verzeih uns, Dubrovnik!“

Doch dieser Satz zeigt auch, wie uneinig das ehemalige Jugoslawien über die eigene Geschichte ist. Während ein NGO-Mitarbeiter und ein ehemaliger Soldat in der Hauptstadt Podgorica den Ruf für einen der wichtigsten und bemerkenswertesten der montenegrinischen Geschichte halten, entgegen uns unsere Dolmetscher:innen, sie sähen keinen Anlass sich bei den Kroaten zu entschuldigen. Denn die sind während der Operation Oluja für die Vertreibung von knapp 100.000 ethnischen Serben verantwortlich.

Es wirkt, als wolle man zuerst die Entschuldigung der anderen. Erst dann könne man sich selbst entschuldigen. Aber wer fängt dann an?

Heute fahren wir nach Cetinje und gehen der Bedeutung des Rufes weiter nach.


TAG 3 - Unterwegs in Montenegro

Heute sind wir mit dem ganzen “Team” unterwegs in Montenegro. Wir suchen in Cetinje nach Spuren der Anti-Kriegs-Demonstrationen und sehen endlich das Meer.

Das Team (von links):

Daniel ist selbstständiger Kameramann aus Wien.

Milivoje und Milica studieren Deutsch als Fremdsprache in Niksic.

Ich, Philipp, interessiere mich für die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in Montenegro.

TAG 4

Alle warten immer auf die Entschuldigung der anderen Seite. Das sagt auch Predrag Nikolic, ein weiterer ehemaliger Soldat, im Einsatz während der Belagerung von Dubrovnik. Dabei, und dieser Gedanke drängt sich in Montenegro und seinen Nachbarländern immer wieder auf, ist es höchste Zeit, mit der Aufarbeitung der eigenen Fehler zu beginnen. Sonst könnte sich die Feindseligkeit wieder so zuspitzen, dass ein neuer Krieg drohe, meint Nikolic. Deshalb spricht er als einer der wenigen Montenegriner über seine Vergangenheit und seine Zeit in einem Krieg, den er von Anfang an für sinnlos hielt.

Zurück
Zurück

Über die Zukunft von Bosnien und Herzegowina

Weiter
Weiter

Wohnungsnot als EU-weites Phänomen